„Das Risiko für den Menschen ist zu groß!“

Donnerstag. 03. Januar 2019 (Dr. Margareta Bögelein)
Prof. Dr. Kevin FitzGerald
Prof. Dr. Kevin FitzGerald
Prof. Dr. James Giordano
Prof. Dr. James Giordano
Prof. Dr. Niko Kohls
Prof. Dr. Niko Kohls

An der Hochschule Coburg fand kürzlich eine internationale Tagung zur Bioethik statt. Wir nutzten die Gelegenheit, um die Forscher Prof. Dr. Kevin FitzGerald, Prof. Dr. James Giordano und Prof. Dr. Niko Kohls zu Fragen der Genmanipulation beim Menschen zu interviewen.

Der chinesische Forscher He Jiankui von der Universität Shenzhen behauptet, zwei kürzlich geborene Mädchen während der Embryonalentwicklung genetisch verändert zu haben. Er erklärt, er habe mit der Genschere Crispr/Cas9 einen Rezeptor deaktiviert, der für die HIV-Infektion benötigt wird. Wieso gab es hier einen Aufschrei der Ethiker?
Prof. FitzGerald: Das ist kein Erfolg. Im Dezember 2015 kamen Wissenschaftler aus Europa, Nordamerika und China in den USA zusammen und haben darüber gesprochen, ob diese Technologie am Menschen eingesetzt werden sollte. Die Entscheidung lautete: Nein. Es ist zu früh. Aus zwei Gründen: Obwohl diese Technologie das Beste ist, was wir aktuell haben, gibt es unvorhersehbare Folgen und unerwünschte Effekte. Solange wir nicht wissen, wie wir damit umgehen, sollten wir die Technologie nicht bei Menschen einsetzen. Die Gefahr ist, dass wir zwar die Gene verändern, die wir verändern wollen. Aber es können andere Gene verändert werden, die wir nicht verändern wollen. Und das kann sehr schädlich sein.

Ist es noch zu früh für diese Technologie?
Prof. FitzGerald: Ja, wir wissen noch nicht genug darüber, wo die unerwünschten Effekte auftauchen und wie wir sie kontrollieren können. Aber auch, wenn wir es perfekt können, sollten wir es auch tun? Wir verändern dadurch nicht nur diese eine Person, sondern auch ihre Kinder, Enkel usw. Wir verändern die Gene, die sie an ihre Nachkommen weitergeben. Das ist eine sehr ernste Frage. Wollen wir in Zukunft absichtlich Menschen verändern?

Das ist die gleiche Diskussion, wie wir sie bei Pflanzen führen.
Prof. FitzGerald: Ja. Der einzige Unterschied ist, dass es jetzt uns Menschen betrifft. Wir sprechen nicht mehr über Pflanzen oder Tiere, sondern wir sprechen über uns. Was in China geschehen ist, wirft mehrere Fragen auf. Das Ziel des chinesischen Forschers war, durch die genetische Veränderung die Übertragung von AIDS zu verhindern. Dafür wäre diese gentechnische Veränderung nicht notwendig gewesen. Es gibt andere Möglichkeiten, dieses Ziel zu erreichen, ohne diese Nebenwirkungen zu erzeugen. D.h., das Risiko der Behandlung war bedeutender als der erreichte Nutzen. Das war eine sehr irritierende Entscheidung. Außerdem ist nicht klar, ob die Eltern das Ausmaß der Behandlung vollständig verstanden haben. Es ist für uns zwar schwierig das zu beurteilen, weil wir nicht alle Informationen zu dem Fall haben. Aber alle Informationen, die wir haben, deuten darauf hin, dass dieser Prozess sehr gefährlich war. Die Eltern wurden nicht vollständig über die Risiken aufgeklärt. Es ist jedoch ein wichtiger ethischer Grundsatz, die Patienten vollständig aufzuklären. Bei dem Treffen in den USA im Jahr 2015 wurde vereinbart, dass wir transparent sein sollen in unserem Vorgehen. Das ist hier nicht der Fall. Hier wurde heimlich gearbeitet. Die Technik wurde schlecht genutzt. Niemand kann dieses Vorgehen gutheißen. Niemand in der Wissenschaft hat Verständnis für dieses Vorgehen.

In den USA wurde die Genschere Crispr/Cas9 entwickelt und dort wird auch schon seit einigen Jahren an Embryonen geforscht. Wie verläuft die ethische Diskussion zu dem Thema?
Prof. FitzGerald: Wir nutzen diese Technologie, die Bearbeitung von Genen, seit den frühen 1980er Jahren. Die Entwicklung verläuft jetzt viel schneller, viel genauer und viel billiger. Man kann sich jetzt schon im Internet ein Crispr/Cas9-Kit für 220 Euro kaufen und die Experimente zuhause selbst durchführen. D.h., wir müssen jetzt darüber sprechen, wie wir diese Technologie nutzen wollen. Die Frage ist, wer an dieser Diskussion beteiligt sein sollte. In der Vergangenheit waren das die Experten, die Wissenschaftler. Ich meine, jetzt sollte jeder an dieser Diskussion beteiligt werden. 

Prof. Giordano: Und wir können diese Änderungen der Genome einsetzen, um sie als Waffe zu benutzen. Indem wir die Menschen modifizieren. Wir könnten Super-Soldaten und Designer-Babys entwickeln.

Mit wem können die Forscher über die Nutzung der neuen Biotechnologie diskutieren?
Prof. Giordano: In den USA haben wir seit 20 Jahren eine Kommission, die den Präsidenten berät. Sie heißt Presidential Commission of the Study of Bioethical Issues. Wir brauchen aber eine weltweite Diskussion, die die verschiedenen kulturellen Perspektiven mit einbezieht. So ist beispielsweise die chinesische Kultur sehr unterschiedlich von der europäischen und der amerikanischen. Sowohl bezüglich der Religion, der Literatur, aber auch der gesellschaftlichen Perspektive. Bei uns zählt eher das Individuum. In China steht die Gemeinschaft im Vordergrund. Daraus resultiert auch eine unterschiedliche Ethik. Hier brauchen wir die Diskussion über Ländergrenzen hinweg. Denn die Gentechnik betrifft nicht nur ein einzelnes Land, sondern alle Menschen weltweit.

Welchen Rahmen brauchen Forscher für ihre Arbeit?
Prof. Kohls: Jeder Mensch braucht einen Rahmen für sein Handeln. Als Forscher brauchen wir einen ethischen Referenzrahmen. Ein großes Problem ist, dass in der Medizin, aber auch in den Gesundheits-, Sozial- und Lebenswissenschaften die Ethik und speziell die Bio- und Neuroethik nicht den Stellenwert hat, der erforderlich ist. Hochschulen und Universitäten müssen diese Themen aufgreifen und ihre Studierenden damit vertraut zu machen. Außerdem müssen ethische Reflektionsprozesse eingeführt werden. Es darf nicht nur die stärkste Stimme gehört werden. Wir müssen auch potenzielle Nebenwirkungen und die Langzeitkonsequenzen berücksichtigen. Nicht alles, was technologisch machbar ist, ist auch ethisch zu vertreten.

Prof. Giordano: In den USA haben Forscher einen Leitfaden für ein „Verantwortungsbewusstes Verhalten in der Forschung“. Hier geht es aber eher um Fragen, wie wir Experimente durchführen. Es geht nicht darum, für welche Zwecke wir unsere Forschungsergebnisse einsetzen. Hier brauchen wir eine ethische Diskussion.

Prof. Kohls: Mir liegt viel daran, internationale Forscher an die Hochschule Coburg zu holen, um gemeinsam mit den Studierenden diese ethischen Fragen zu diskutieren. Wir haben noch keine Ethik der Gesundheitsförderung. Hier müssen wir unsere Studierenden für ethische Fragen sensibilisieren.

Wie müssen Wissenschaftler kommunizieren, damit sie verstanden werden?
Prof. Giordano: Wir Forscher müssen unsere Ergebnisse und Experimente besser erklären und die Medien nutzen, um sie transparenter zu machen. Da haben wir eine große Verantwortung.

Prof. FitzGerald: Das ist richtig, aber es gibt noch einen anderen Aspekt. Wir als Forscher können diese kraftvollen Dinge wie die Genschere entwickeln und einsetzen. In den USA hat man in einer Studie normalen Leute Informationen zu komplizierten Themen wie der Genmanipulation gegeben. Man ging davon aus, dass sie zu denselben Schlussfolgerungen kämen, wie die Forscher. Aber die Forscher waren schockiert. Die Leute haben die Welt anders gesehen. Die Forscher dachten, ihre Entwicklungen wären eine gute Sache. Die Leute haben das aber in Frage gestellt. Natürlich müssen wir als Forscher unsere Arbeit und unsere Ergebnisse besser kommunizieren. Aber wir müssen auch in die Diskussion mit den normalen Leuten eintreten und voneinander lernen. Es geht nicht nur darum, dass die Allgemeinheit von den Forschern lernen. Sondern es geht auch darum, dass Forscher erfahren, wie ihre Arbeit von der Allgemeinheit eingeschätzt wird.

Mit jeder medizinischen Therapie gehen Chancen und Risiken einher. Sollten Eltern für ihre ungeborenen Kinder entscheiden dürfen, ob ihre Gene manipuliert werden?
Prof. FitzGerald: Das ist eine extrem wichtige Frage. Und zwar aus zwei Gründen: Dr. He Jiankui ging davon aus, dass die Eltern das wünschen. Eltern sollten die Entscheidung für ihre Kinder treffen dürfen. Aber sie sollten nicht alles bestimmen dürfen. Nein. Weil Eltern auch schlechte Entscheidungen treffen können. Es muss jemanden geben, der sagt: Nein, das ist eine schlechte Entscheidung. Wir sollten nicht alles erlauben, weil es nicht nur dich betrifft, und nicht nur deine Kinder, sondern es betrifft die ganze Gesellschaft. Hier braucht es ein Gleichgewicht und ich glaube, wir haben dieses Gleichgewicht zwischen den individuellen Wünschen und den Bedürfnissen der Gesellschaft noch nicht

Prof. Giordano: Für die nächste Generation werden die genetischen Möglichkeiten Realität sein. Wir müssen daher bereits jetzt im Studium über diese ethischen Fragen diskutieren. Denn die Studierenden von heute sind die Entscheider von morgen. In der ethischen Diskussion müssen wir ökologische, ökonomische, soziale, internationale und rechtliche Faktoren berücksichtigen.

Prof. FitzGerald: Diese Diskussion ist generell aber nichts Neues. In Deutschland wird die Industrie reguliert, damit sie die Umwelt nicht verschmutzt, das Wasser und die Luft nicht vergiftet. Es gab den Ausstieg aus der Atomenergie, weil es Nuklearunfälle gab. Wenn ein Land die Gentechnologie nutzt, verbreitet sich dies über die Landesgrenzen hinweg in die Welt. Daher muss auch hier der Staat regulierend eingreifen, um Schäden abzuwenden. Es muss ethische und soziale Standards geben, die nicht verletzt werden dürfen.

Prof. Dr. Kevin FitzGerald, SJ, lehrt an der Creighton University in Omaha, Nebraska. Er hat in Molekulargenetik und Bioethik promoviert und berät den Vatikan in Fragen der Bioethik. Prof. Dr. James Giordano lehrt an der Georgetown University, Washington DC., am Institut für Neurologie und Biochemie. Er ist Gastprofessor der Hochschule Coburg. Prof. Dr. Niko Kohls lehrt an der Hochschule Coburg im Studiengang Integrative Gesundheitsförderung. Prof. FitzGerald und Prof. Giordano kamen auf Einladung von Prof. Dr. Niko Kohls an die Hochschule Coburg. Sie waren Gäste einer internationalen Tagung, die Dr. Thomas Kriza gemeinsam mit Prof. Kohls im Rahmen des Projekts “Der Coburger Weg” organisierte.