Coburger erforschen Biozide in Baustoffen

Mittwoch. 13. Mai 2020 (Natalie Schalk)
Prof. Dr. Stefan Kalkhof und Prof. Dr. Matthias Noll (sitzend) und ihr Team: Technikerin Viktoria Schyma und die Doktorandinnen Nadine Kiefer und Fabienne Reiß im Chemielabor der Hochschule Coburg. Foto: Simon Geistlinger, Hochschule Coburg

Der Freistaat startet ein großangelegtes Forschungsprojekt über den Einfluss verschiedener Stoffe auf die Umwelt. Chemiker und Mikrobiologen der Hochschule Coburg untersuchen dabei Biozide in Baustoffen wie Dämmmaterial, Putz und Fassadenfarbe.

Insektizide, Herbizide, Fungizide: Die meisten Menschen wissen, dass Landwirte solche Substanzen nutzen, um Ernteschäden zu vermeiden. Weniger bekannt ist, dass oft genau die gleichen Chemikalien bei Hausbau und Renovierung eingesetzt werden – und zwar in großem Stil. „Etwa ein Viertel der hergestellten Biozide geht in Produkte aus dem Bausektor“, sagt Prof. Dr. Stefan Kalkhof. Sein Kollege Prof. Dr. Matthias Noll ergänzt, dass bisher weitgehend unbekannt ist, welche Folgen die Freisetzung der Wirkstoffe hat. Das ändert sich nun: Die beiden Professoren vom Institut für Bioanalytik der Hochschule Coburg erforschen im Projekt „Bewertung biozidhaltiger Baustoffe“ den Einfluss auf das Boden-Ökosystem.

Bayern übernimmt Vorreiterrolle

Die Arbeit der Coburger Forscher ist Teil des Projektverbundes „BayÖkotox – Ökotoxikologische Bewertung von Stoffen in der Umwelt“. Damit will der Freistaat die Umweltforschung vorantreiben und bisher fehlende Datengrundlagen schaffen. Zum Auftakt sagte Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) diese Woche in einer Videobotschaft: „Wir wollen genau wissen: Welche Stoffe haben welche Wirkung auf die Umwelt. Das schafft wichtige Entscheidungsgrundlagen für politisches Handeln zum Schutz der Umwelt.“ Weitere Forschungsinhalte sind neben dem Coburger Thema Bauen auch Verkehr und Insekten. Damit befassen sich Wissenschaftler der Universitäten Bayreuth, Regensburg und Würzburg. Finanziert wird BayÖkotox vom Bayerischen Umweltministerium, koordiniert vom Landesamt für Umwelt. „Dort werden die Daten gesammelt und die Konsortien vernetzt“, erklärt Kalkhof. „Es geht darum, langfristig eine Expertise aufzubauen.“ Noll ergänzt: „Bayern möchte bei der terrestrischen Ökotoxikologie eine Vorreiterrolle einnehmen.“ Das Projekt soll dazu beitragen, dass die Böden weniger belastet werden.

Ökotoxikologie untersucht, wie sich chemische Stoffe auf die Umwelt auswirken – von der Ebene winziger Moleküle bis hin zu ganzen Ökosystemen. Kalkhof erklärt, dass es bei Baustoffen für den Innenbereich durch Gesundheits-Auflagen deutlich strengere Regeln gebe als im Außenbau. Chemikalien verhindern bei Baustoffen wie Dachpappe, Wärmeverbundsystemen, Putz oder Farbanstrichen den Befall mit Schimmel, Bakterien, Algen und Flechten. „Die eingesetzten Biozide landen nicht gleich 1:1 in der Umwelt“, sagt Kalkhof. „Aber“, ergänzt Noll, „damit sie wirken, müssen Biozide dennoch wasserlöslich sein.“

Wetter im Zeitraffer

Um herauszufinden, wie sie durch Regen ausgespült werden und was passiert, wenn die Sonne die Fassade erhitzt, nutzen die Forscher einen "Zeitraffer": In einer Bewitterungskammer werden Proben mit Licht und Wasser so bearbeitet, dass sich hochrechnen lässt, wie die Biozide im Lauf von Jahren freigesetzt werden. In Kalkhofs Team wird Nadine Kiefer die Freisetzung, den Abbau und die Anreicherung im Boden mittels hochsensitiver Analytik genau quantifizieren. Darüber will sie ihre Doktorarbeit schreiben. Bei Professor Noll wird Fabienne Reiß über das Projekt promovieren: Sie untersucht, inwiefern sich die Vielfalt von Mikroorganismen im Boden durch den Biozid-Eintrag aus Baustoffen verändert und ob die Aktivität der Mikroorganismen beeinflusst wird. „Wir sammeln das Ablaufwasser in der Bewitterungskammer, geben es auf Normböden und messen mit modernsten Techniken, was passiert“, erklärt der Professor. Anders als bei Gewässern gibt es bei Böden bisher noch kaum Erkenntnisse über die Auswirkung von Bioziden. Die Coburger Forscher erarbeiten jetzt wertvolles Hintergrundwissen – und das kann der Politik in ein paar Jahren als Entscheidungsgrundlage dienen.