TAO Themenjahr: Übergewicht und das „tödliche Quartett“

Mittwoch. 12. Juli 2023 (Cindy Dötschel)
Prof. Dr. Stefan Kalkhof und sein Team entwickeln Implantat-Materialien für Knochenbrüche mit dem Ziel, ein 3D-gedrucktes zu entwickeln, das genau in die Fraktur passt. Foto: Cindy Dötschel / Hochschule Coburg
Etwa 100 Besucher:innen informierten sich beim ersten TAO-Themenabend Gesundheit. Foto: Cindy Dötschel / Hochschule Coburg

Die meisten übergewichtigen Menschen aus Bayern leben in Oberfranken. Wie hängt Übergewicht mit der Darmflora und dem „tödlichen Quartett“ zusammen? Darüber haben sich rund 100 Interessierte beim „TAO Themenabend Übergewicht“ informiert.

Mit „Gesundheit“ kann die Hochschule Coburg punkten. Das betonte Dr. Markus Neufeld, Leiter des Referats für Transfer und Entrepreneurship bei der Eröffnung des ersten von drei „TAO Themenabenden“ in der Alten Kühlhalle. „Gesundheit analysieren & fördern“ ist einer der Forschungsschwerpunkte der Hochschule Coburg, die auf jahrelange Kooperationen in diesem Bereich – unter anderem mit dem Regiomed-Klinikum und der AOK – zurückblicken kann.

Von diesen Kooperationen profitierten die rund 100 Besucherinnen und Besucher beim „TAO Themenabend Übergewicht“ in der Alten Kühlhalle, der vom Referat für Transfer und Entrepreneurship und dem Forschungsschwerpunkt Gesundheit organisiert wurde. Denn auf dem Programm standen neben zwei Vorträgen von Expert:innen der Hochschule noch zwei weitere von Vertreter:innen der AOK Coburg und des Regiomed-Klinikums.

Bei seiner Begrüßung wies Can Aydin, Dritter Bürgermeister der Stadt Coburg, darauf hin, dass die Hälfte der Frauen und 60 Prozent der Männer in Deutschland übergewichtig sind. „Besonders besorgniserregend ist die wachsende Anzahl übergewichtiger Kinder – jedes fünfte Kind zwischen elf und 13 Jahren leidet unter Gewichtsproblemen“, sagte er. Gesundheit sei ein wertvolles Gut, das nicht vernachlässigt werden darf. Deshalb müsse sich die Gesellschaft mit dem Thema auseinandersetzen.

Übergewicht und seine Folgen

In Oberfranken sind bayernweit die meisten Menschen übergewichtig oder sogar adipös. „Tendenziell nimmt beides mit dem Alter zu“, sagte AOK-Direktor Christian Grebner in seinem Vortrag. Auch unter den 18- bis 29-Jährigen sei das Thema Übergewicht bereits ein Problem. Das Phänomen ziehe sich durch alle Altersklassen. Nicht nur das Übergewicht an sich, sondern vor allem die damit einhergehenden Folgen sind für die Krankenkasse Anlass, vorbeugend tätig zu werden: „Wer übergewichtig ist, hat oft mehrere Erkrankungen und ist multimorbid.“ Die AOK ist gesetzlich zur Prävention verpflichtet. „2022 sind 538 Millionen Euro bundesweit in die Prävention geflossen“, ergänzt Ulrike Umlauft, Ernährungsberaterin bei der AOK. Die Krankenkasse ist sowohl in Kindergärten und Schulen als auch an Hochschulen sowie in Vereinen und Kommunen aktiv. „Wir gehen in alle Lebenswelten, wo Ernährung und Prävention eine Rolle spielen können.“

Das „tödliche Quartett“

Gemeinsam mit einem erhöhten Blutzucker, einem erhöhten Blutdruck und einem erhöhten Blutfettwert bildet das Übergewicht das „tödliche Quartett“, das im Fachjargon auch als metabolisches Syndrom bekannt ist. „Die vier Zustände kommen oft gleichzeitig und beeinflussen die Lebensqualität und Lebenslage“, sagte Prof. Dr. Johannes Kraft, Chefarzt der Geriatrie- und Rehabilitationsabteilung am Regiomed-Klinikum Coburg, zu Beginn seines Vortrags. Das metabolische Syndrom sei der „Killer Nummer eins“ und eine häufige Ursache für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Auch geht das metabolische Syndrom mit Krankheiten wie Alzheimer-Demenz, Arteriosklerose, Arthrose und Rheuma sowie bestimmten Krebsarten einher, die die Lebensqualität und die Lebenserwartung deutlich mindern.

Was das Übergewicht betrifft, so ist das Bauchfett entscheidend. „Das Metabolische Syndrom an sich ist keine Krankheit, sondern die Vorstufe und ein Wohlstandsphänomen. Evolutionär sind wir so gebaut, dass wir möglichst viele Nährstoffe aufnehmen“, sagte der Chefarzt.  Heute sei unser Leben allerdings insofern anders, als dass wir mehr essen und uns weniger bewegen. Eine Möglichkeit vorzubeugen sieht er in der Selbstwirksamkeit. Man müsse merken, dass man Erfolg haben kann und den Kreislauf in Gang setzen. Sobald man dann eine Verbesserung merke, steige auch das Wohlbefinden. Um das Bauchfett zu reduzieren, rät er zum Intervallfasten. „Günstig sind kohlenhydratfreie Intervalle von 15 bis 18 Stunden.“

So beeinflusst die Darmflora das Gewicht

Ein Faktor, der das Gewicht ebenfalls beeinflusst, ist die Beschaffenheit der Darmflora, die unter Medizinern auch als Mikrobiom bekannt ist. In ihrem Vortrag erläuterte Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann, Professorin für Gesundheitsförderung an der Hochschule Coburg, wie das Mikrobiom Einfluss auf das Gewicht nimmt. Je nach Zusammensetzung der 100 Billionen Mikroorganismen im Darm ziehen wir mehr oder weniger Kalorien aus der Nahrung. Die Unterschiede zwischen guten und schlechten „Futterverwertern“ können 150 bis 200 Kilokalorien betragen. Pro Jahr können durch diese Kalorien acht bis zehn Kilo zusätzliches Gewicht auf die Waage kommen. Axt-Gadermann vergleicht den Darm mit dem darin lebenden Mikrobiom mit einem Braukessel. „Jeder gibt etwas anderes rein. Der eine mehr Obst und Gemüse, der andere Fast-Food und Süßigkeiten. Unsere Bakterien können daraus dann eher nützliche oder eher schädliche Stoffwechselprodukte ,brauen‘. “ Weil diese Stoffe durch die Darmwand ins Blut und damit zu jedem Organ des Körpers, auch zum Gehirn, gelangen, kann unser Mikrobiom unsere gesamte Gesundheit beeinflussen – auch unser Gewicht.

Doch was verändert das Mikrobiom so, dass es uns übergewichtig macht? Wer viel Fast Food, Fertiggerichte und Süßstoffe konsumiert, hat ein erhöhtes Risiko. Auch die Einnahme von Antibiotika tut dem Mikrobiom nicht gut. Wer häufig Antibiotika einnehmen muss, hätte ein höheres Risiko für Übergewicht. „Doch bis die Pfunde steigen, dauert es mehrere Monate. Die Wenigsten bringen deshalb die Gewichtszunahme mit einer Antibiotikatherapie in Verbindung.“ Damit die guten Bakterien wachsen und ungünstige Keime verdrängen, brauchen sie das richtige Futter – präbiotische Ballaststoffe, die in vielen Pflanzen stecken wie in Chicorée, Haferflocken, Pastinaken, Hülsenfrüchten, Vollkornprodukte, Zwiebeln, Leinsamen oder grünem Tee.  Daneben tut auch Bewegung unserem Mikrobiom gut.

Knochenheilung bei Diabetes

Das Institut für Bioanalytik der Hochschule Coburg beschäftigt sich ebenfalls mit dem Thema Übergewicht. Prof. Dr. Stefan Kalkhof und sein Team entwickeln Implantat-Materialien, die die verzögerte Heilung von Knochenbrüchen bei Diabetes-Patienten, die oft übergewichtig sind, stimulieren sollen. Ziel ist es, ein 3D-gedrucktes zu entwickeln, das genau in die Fraktur passt, die Heilung aktiv unterstützt und schließlich vom Körper abgebaut werden kann. „Wir entwickeln Verfahren auf der Basis von Gewebs- und Blutanalysen, um die geeignete Behandlung zu finden und den Heilungsverlauf zu verfolgen“, sagte Prof. Dr. Stefan Kalkhof. Bereits jetzt arbeitet das Institut mit Firmen und Kliniken zusammen, die die Materialien testen. In einem nächsten Schritt soll dann eine Plattform entstehen, auf der Blutwerte und klinische Daten der Patienten sowie Implantat-Daten hinterlegt werden.  So können Mediziner bei ihrer Entscheidung darüber unterstützt werden, welches Material für ein Implantat-Material in einem konkreten Fall verwendet werden sollte.

Info
Der „TAO Themenabend Übergewicht“ war der erste von drei Themenabenden, die im Rahmen des „TAO Themenjahrs Gesundheit“ in der Alten Kühlhalle stattfinden. Am Dienstag, 25. Juli, wird es eine Veranstaltung zum Thema Krebs geben, am 19. September steht die Demenz im Fokus. Bei der Reihe geht es darum, Gesundheitsthemen gemeinsam mit Experten zu analysieren und die Gesundheit zu fördern. „TAO“ steht für Technologie Allianz Oberfranken und ist eine Kooperation der vier oberfränkischen Hochschulen.