17. Oktober '25
(Henning Dölker)
Ein kleines Dorf an der ehemaligen innerdeutschen Grenze, rund 250 Einwohner – und eine Gruppe der Fakultät Soziale Arbeit der Hochschule Coburg spaziert mit der Bewohnerschaft durchs thüringische Almerswind. Was verbindet die Studierenden mit diesem Ort?
Im Masterstudiengang Soziale Arbeit, Vertiefungsbereich Bildungs- und Kulturarbeit, haben sieben Studierende unter der Leitung von Prof. Björn Bicker ein Kulturprojektvorhaben im Ortsteil Almerswind der südthüringischen Stadt Schalkau durchgeführt. Almerswind liegt etwa 15 Kilometer nördlich von Coburg und zählt rund 250 Einwohnerinnen und Einwohner. Das Dorf lag zur DDR-Zeit in unmittelbarer Nähe zur innerdeutschen Grenze – und diese besondere Lage war Ausgangspunkt für das kulturelle Projekt zur Erinnerungsarbeit. Im Wintersemester 2024/25 wurde das Vorhaben konzipiert, im Sommersemester 2025 gemeinsam mit der Einwohnerschaft von Almerswind und der näheren Umgebung praktisch umgesetzt in Zusammenarbeit mit dem lokalen Kulturzentrum Flechtwerk, gegründet von André Kranich.
Die Projektform: Erzählcafés. Themenabende, jeweils moderiert, mit einer kleinen Leckerei und vielen persönlichen Geschichten. Den Auftakt machte ein Kennenlernen im April 2025. Ab Mai fanden drei Abende mit unterschiedlichen Schwerpunkten statt – immer eng verknüpft mit der Geschichte Almerswinds als DDR-Grenzort.
Der erste Abend drehte sich um die „Wendezeit“: Die Teilnehmenden erzählten von Umbrüchen, Arbeitsplatzverlusten, Hoffnung und Enttäuschung. Besonders eindrücklich wurde von Firmenschließungen und dem Gang aufs Arbeitsamt berichtet. Einige fanden nach 1990 auch in Bayern neue Arbeit – und manche eben keine.
Nicht jeder durfte das Dorf betreten
Auch beim zweiten Erzählcafé zu den Themen „Leben in der Sperrzone“ und „Erinnerungsorte“ schwang die Nähe von Almerswind zur ehemaligen DDR-BRD-Grenze mit. Diese Projektveranstaltung der Studierenden der Hochschule Coburg wies einen dualen Charakter auf: Ein Erzählcafé fand bei sommerlichen Temperaturen im Juni 2025 auf der Terrasse des Flechtwerks statt. Dabei wurde deutlich: Bis 1989 war Almerswind nur mit einem speziellen Stempel im Ausweis betretbar. Wer diesen nicht hatte, durfte nicht ins Dorf. Parallel zu diesem Erzählcafé fand ein Ortspaziergang statt, bei dem die Bevölkerung den Studierenden ihre Erinnerungsorte in Almerswind zeigte.
Beim letzten Erzählcafé war das Thema: „Dorfgemeinschaft“. Die älteren Einwohnerinnen und Einwohner berichteten vom Wandel. In der Zeit der ehemaligen DDR sei das Gemeinschaftsgefühl stärker gewesen. Heute fehlten Treffpunkte, und die Bevölkerung altere zunehmend. Das wirke sich auch auf das Ehrenamt aus. Als ursächlich für diese Entwicklung wurden der Wegfall von für die Dorfgemeinschaft wichtiger Infrastruktur und der demografische Wandel genannt.
Persönliche Erinnerungen aus der Zeit des geteilten Deutschlands
Die Studierenden und Prof. Bicker freuen sich sehr über das Interesse der Einwohnerschaft von Almerswind und der näheren Umgebung. Nach der Veranstaltungsreihe blickt die Hochschulgruppe mit Freude und Dankbarkeit zurück: In intensiven und emotionalen Gesprächen trafen sie auf offene Menschen. Sie gaben einen persönlichen Einblick in eine kaum vorstellbare Zeit der Teilung der heutigen Bundesrepublik Deutschland. Aktuell wird geprüft, wie das Format „Erzählcafé“ in Almerswind weitergeführt werden könnte. Das Projekt hat neue Begegnungen geschaffen – zwischen Generationen, Regionen und Erinnerungen.