19. Dezember '25
Der Coburger Blindenglobus ist eine historische Rarität. Er wurde um das Jahr 1821 in Berlin hergestellt, ist einer der beiden ältesten seriell produzierten Reliefgloben, die erhalten sind – und birgt einige Rätsel. Prof. Dr. Christian Holtorf von der Hochschule Coburg brachte seine Geheimnisse ans Licht.
Blinden- oder Reliefgloben boten den Menschen bereits vor zweihundert Jahren die Möglichkeit, sich den Planeten Erde anschaulich vorzustellen. Sie haben keine glatte, sondern eine erhabene Oberfläche, durch die Gebirge und Täler leicht ertastbar sind. Ihre Herstellung war relativ aufwändig: aus Papiermaché wurden zwei Halbkugeln angefertigt, die dann zusammengesetzt und von Hand gestaltet und bemalt.
Bei genauer Betrachtung gibt der Coburger Blindenglobus einige Rätsel auf. Er ist einer von nur zwei Globen im Magazin der Landesbibliothek Coburg und wurde jetzt von Prof. Dr. Christian Holtorf, Historiker an der Fakultät Soziale Arbeit der Hochschule Coburg, zum ersten Mal ins Licht gerückt. Bei einem Vortrag in der Landesbibliothek fragte er: „Warum werden auf einen Globus, der für Blinde angefertigt wurde, die Namen von Städten geschrieben? Wieso werden die Kontinente farblich voneinander abgesetzt? Wozu sind die Längen- und Breitengrade eingezeichnet?“
Ein Statussymbol mit spezieller Sicht auf die Welt
Tatsächlich wurden die Reliefgloben nicht nur für Blindenschulen hergestellt, deren finanzielle Möglichkeiten begrenzt waren. Um sie kostengünstiger in größerer Menge produzieren zu können, wurden sie auch an sehende Menschen verkauft, die mit dem neuen Globus zeigen wollten, wie gebildet, weltoffen und wohlhabend sie waren. Dafür wurden die Globen auch beschriftet und farblich gestaltet. Doch nicht alle Angaben entsprechen unseren heutigen.
Zu erkennen ist, dass die Westküste Grönlands nachträglich auf den Wissensstand von 1819 korrigiert wurde. Die Antarktis fehlt, weil sie erst 1820 entdeckt und dies erst Monate später in Europa bekannt wurde. Eine Besonderheit ist auch der Verlauf des Nullmeridians durch die Insel Ferro auf den Kanaren, die lange Zeit das westliche Ende der bekannten Welt bildete. Erst 60 Jahre später wurde der weltweite Meridian nach Greenwich bei London verlegt.
Dagegen wusste man bereits, dass die Erde nicht die Form einer perfekten Kugel hat, sondern an den Polen abgeplattet und auch sonst eher „kartoffelförmig“ ist. Die Effekte sind jedoch so gering, dass sie im stark verkleinerten Maßstab nicht erkennbar sind. Gleichzeitig mussten die Höhen und Tiefen aber bis zu sechzig Mal übertrieben dargestellt werden, damit sie überhaupt ertastet werden konnten. So ein Globus war also eigentlich gar kein korrektes Modell der Erde.
Die Welt in der Hand des Menschen
Entscheidend war, dass ein Globus seinen Zweck erfüllte – und der bestand darin, den Menschen eine wissenschaftliche Vorstellung von der riesigen runden Gestalt der Erde zu ermöglichen. „Auf diese Weise wurde der Globus zum Symbol der Globalisierung“, sagte der Historiker Holtorf. „Er demonstrierte, dass alle Punkte auf der Erdoberfläche vermessen sind und von Europäern erreicht werden können. Die Welt ist so zu einem Ganzen geworden, das alle Unterschiede in sich vereint hat.“
Heute erleben wir aber auch die Gefahren, die in diesem Weltbild enthalten sind. Indem der Mensch die Erde zu einem Objekt gemacht hat, beutete er ihre Ressourcen aus und verursachte den globalen Klimawandel. „Den Globus in die eigene Hand zu nehmen“, fasst Holtorf seine Forschung zusammen, „bedeutete nicht nur, seine Konturen ertasten zu können, sondern auch, ihn für den technischen Fortschritt verfügbar zu machen.“







