Arm aber stolz

Donnerstag. 29. März 2018 (Madelaine Ruska)
Nazli Güner mit ihren "Pflegekindern" in Peru.

Kinderarbeit ist in Peru keine Besonderheit. Das Projekt Manthoc setzt sich für die Rechte der Kinder und Jugendlichen ein. Die Studentin Nazli Güner hat sieben Monate dort gearbeitet.

Ein kleines Lehmhaus am Rande von Cajamarca ist das Zuhause von Ninan* (10), Alejandro* (8) und Manuel*(6). Die drei Brüder leben dort mit ihren Eltern und einem Schwein auf wenigen Quadratmetern zusammen. Nur ein dünnes Blechdach schützt das Haus vor Wind und Wetter. Türen gibt es keine. Wenn es regnet, läuft das Wasser durch Decken und Wände in die Wohnung. Das Hausschwein ist zwar der einzige und wertvollste Besitz der Familie, aber für die Hygiene im Haus katastrophal. Die Kinder haben Parasiten. Manuel, der jüngste, leidet unter einer schlimmen Entzündung am Ohr.

Eigentlich sollen die Brüder die Grundschule besuchen, doch sie fehlen regelmäßig. Manuel muss seiner Mutter helfen, die gerade ein neues Geschwister entbunden hat. Ninan und Alejandro arbeiten mit ihrem Vater auf einer Baustelle.

Das Schicksal der drei Brüder hat Nazli Güner besonderes bewegt. Mehrere Monate hat die Studentin in Cajamarca gelebt und gearbeitet. In ihrem Studiengang Internationale Soziale Arbeit und Entwicklung gehört das Praktikum im Ausland fest in den Stundenplan.

Kinderarbeit ist in Peru nicht ungewöhnlich. „Wenn die Kinder nicht arbeiten würden, könnten sich viele Familien nicht über Wasser halten“, erzählt Nazli Güner. Schon die Kleinsten müssen auf dem Markt helfen. Die Älteren verkaufen Taschentücher oder Süßigkeiten auf der Straße, arbeiten als Autowäscher oder kontrollieren in den öffentlichen Bussen die Fahrkarten.

Das Projekt Manthoc will Kinderarbeit nicht verbieten, sondern den Kindern Perspektiven aufzeigen und für faire Arbeitsbedingungen sorgen. Zum Beispiel, indem es ihnen den Zugang zu Bildung ermöglicht. Denn in Peru kostet der Besuch einer Schule Geld. Das können sich viele Familien nicht leisten. Bei Manthoc finanzieren Spenden aus Deutschland den Unterricht. So können die Kinder und Jugendlichen in die Schule gehen, etwas über ihre Rechte lernen und sie bekommen Hilfe, wenn es Probleme in der Familie gibt. Das war auch Nazli Güners Aufgabe bei Manthoc. Sie unterstützt die Schulpsychologen bei der Arbeit, übernimmt Hausbesuche und betreut die Kinder bei den Gruppenstunden.

Als Ninan, Alejandro und Manuel immer häufiger fehlen, besucht die Studentin die Familie zum Beispiel mit dem Schulpsychologen. Gemeinsam überlegen sie, wie sie der Familie helfen und die drei Jungs wieder regelmäßig am Unterricht teilnehmen können. „Am Anfang denken die Leute, jetzt kommt hier jemand, der alles besser weiß und die Welt verbessern will. Wenn sie aber sehen, dass man nur Gutes für die Kinder möchte und gemeinsam mit der Familie etwas erreichen möchte, dann funktioniert es“, berichtet Nazli Güner von ihren Erfahrungen.

Die Kinder selbst, sagt sie, kommen mit der Situation gut klar. Viele seien sogar stolz darauf, dass sie ihre Familien unterstützen können. Manchmal stößt die Studentin aber auch an ihre Grenzen. Wenn ein Schicksal besonders traurig ist oder eine Situation ausweglos erscheint. Trotzdem war das Praktikum für sie eine Bestätigung. „Ich habe gemerkt, dass ich auf jeden Fall in einer Menschenrechtsorganisation arbeiten will. Vielleicht sogar in der Kinderhilfe. Und ich kann mir auch gut vorstellen, im Ausland zu leben und vielleicht sogar noch einmal nach Peru zurückzugehen.“

Sehr geholfen habe ihr, was sie im Studium über soziale Gruppenarbeit und Gesprächsführung gelernt hat: Wie frage ich nach? Wie kann ich aktiv zuhören? Wie kann ich jemanden dazu führen, selbst auf eine Lösung zu kommen, ohne, dass ich ihm etwas vorgebe?

Zu einigen Familien hat die Studentin über die sozialen Netzwerke heute noch Kontakt. Auch von Ninan, Alejandro und Manuel hat sie gehört. Manthoc hatte mit der Familie einen Vertrag geschlossen. Wenn die Kinder regelmäßiger in die Schule kommen, bauen die Mitarbeiter*innen dafür im Gegenzug einen kleinen Stall für das Schwein und helfen der Mutter, ihren Haushalt zu ordnen. Durch Spenden konnten sie bereits den Arzt und Medikamente bezahlen. „Ich habe aber gehört, dass die Kinder wieder regelmäßig in der Schule fehlen“, berichtet Nazli Güner.

Bevor sie an der Hochschule studierte, hatte die 33-Jährige übrigens einen sicheren Bürojob. Festes Einkommen, geregelte Arbeitszeit, nette Kollegen. Trotzdem hat sie den Neuanfang gewagt, weil sie sich nicht vorstellen konnte, für immer so zu leben. Hat sie sich früher nur nebenbei ehrenamtlich sozial engagiert, will sie die Soziale Arbeit jetzt zu ihrer Profession machen. In wenigen Wochen geht Nazli Güner wieder ins Ausland. Dann verbringt sie ein Theoriesemester an der Universidad Pablo de Olavide in Sevilla, Spanien.

*Namen geändert

Theorie und Praxis im Ausland

Im Studiengang Internationale Soziale Arbeit und Entwicklung verbringen die Studierenden zwei Semester im Ausland. Ein theoretisches Semester, das sie an einer der Partnerhochschulen des Studiengangs in Afrika, Lateinamerika, Asien und Europa absolvieren und ein praktisches Semester, das sie in einer sozialen Einrichtung ableisten. Die Studierenden sind dabei weltweit im Praxiseinsatz – von Europa bis nach Asien oder Afrika. Für die Theoriesemester gibt es feste Partnerhochschulen, die die Studierenden besuchen können. Im Praxissemester können sie selbst eine Einrichtung auswählen. Die Hochschule Coburg prüft, ob die Praxisstelle die Anforderungen für das Praktikum erfüllt. Die Studierenden müssen zum Beispiel Aufgaben umsetzen, die ihre Kompetenzen als Sozialarbeiter*innen verlangen. Im Verlauf des Studiums werden sie für den Einsatz in der Praxis vorbereitet. Dazu gehören unter anderem die Soziale Arbeit nach menschenrechtlichen Prinzipien, die interkulturelle Sensibilisierung und die Gesprächsführung.