„Das Klavier vermisse ich am meisten“

Mittwoch. 22. Juli 2015 (Pressestelle)
Weit weg vom Bürgerkrieg: Mohamad (rechts) und Faruk studieren gerade in Coburg.

Mohamad Ali Alsheik Moslem lebt in Aleppo bis er 19 ist. Dann zwingt der Bürgerkrieg in Syrien ihn, seine Heimat zu verlassen. In Coburg verbringt der 22-Jährige, der mittlerweile in Istanbul studiert, gerade ein Auslandssemester.

Nur eine Tasche kann Mohamad Ali damals mitnehmen. Über die Grenze zur Türkei verlassen er und seine Familie Syrien, als die Unruhen immer stärker werden. „Eigentlich war früher alles in Ordnung“, erzählt er. „Es gab viele verschiedene Kulturen, die alle in Frieden gelebt haben.“ Der 22-Jährige wächst in Aleppo auf, geht dort zur Schule und beginnt schließlich ein Studium in Textilingenieurwesen. Dann kommt es Anfang 2011 zu Protesten gegen die Regierung. Und die Lage im Land verändert sich. Das macht sich auch an der Universität bemerkbar. „Bewaffnete Sicherheitsleute haben angefangen uns vor dem Eingang zu kontrollieren“, berichtet Mohamad Ali.

Es kommt zur Spaltung innerhalb der Universität. Regierungskonforme Studenten hätten zum Beispiel Informationen über Demonstranten gesammelt und diese weiter gegeben, erklärt der junge Syrier. Dann sei die Situation eskaliert. Als die Polizei einen Studenten verhaften will, habe dieser sich im Wohnheim eingesperrt, sei schließlich aus dem 5. Stock seines Zimmers in den Abgrund gesprungen. Studierende und Sicherheitskräfte geraten daraufhin aneinander. Das Militär rückt mit schweren Waffen an, erschießt 15 junge Menschen im Wohnheim. "Ich war an diesem Tag in der Vorlesung und habe später mitbekommen, was passiert ist. Da war für mich klar, dass ich nicht mehr zur Universität gehen will."

Gemeinsam mit seinen acht Geschwistern und der Mutter verlässt Mohamad Ali die Stadt. Der Vater, der in Moskau bei einer Textilfirma arbeitet, unterstützt die Familie aus dem Ausland. Zunächst geht es in ein Dorf, nur wenige Kilometer von der Grenze zur Türkei entfernt. Doch als sich auch dort der Bürgerkrieg immer stärker bemerkbar macht, geben die Alsheiks ihre Heimat auf. Zurücklassen müssen sie beinahe alles. „Unsere Wohnung wurde besetzt. Wir konnten nur mitnehmen, was wir tragen konnten. Das Klavier, das vermisse ich am meisten“, erzählt Mohamad Ali.

In Istanbul finden die Alsheiks schließlich eine Wohnung. Und weil in der Türkei geringe bürokratische Hürden für Flüchtlinge gelten, kann Mohamad Ali sich an der Sabahattin Zaim Universität einschreiben. Er studiert dort Business Administration, will später einmal eine gemeinsame Textilfirma mit seinem Vater aufbauen. Nach Coburg ist er gemeinsam mit seinem besten Freund Faruk Atasal gekommen. Die beiden haben sich beim Englisch-Vorbereitungskurs in Istanbul kennengelernt. Als ihnen ein Professor von Deutschland vorschwärmt, entscheiden sie sich, ihr Auslandssemester hier zu verbringen. „Die Ruhe in Coburg ist sehr schön“, finden Faruk und Mohamad Ali. Von ihrem Aufenthalt hier wollen sie vor allem viele neue Erfahrungen und Eindrücke mitnehmen. „Man lernt neue Kulturen kennen und wie es ist, weit weg von der Familie zu sein.“

Ob Mohamad Ali irgendwann mal nach Syrien zurückkehren will? Das weiß er nicht. Viele Freunde sind weggegangen oder ums Leben gekommen. In der Türkei dagegen hat er eine neue Heimat gefunden.