Exkursion ins Unbekannte: Studierende lernen von der Kunst

Montag. 31. Juli 2017 (Pressestelle)
In sommerlichem Outfit bei der documenta in Kassel.

„Vergessen Sie alles, was Sie wissen!“ Diese ungewöhnliche Empfehlung gab Professor Christian Holtorf seinen Studierenden für ein Lehrexperiment der besonderen Art. Sein Ratschlag sollte die Köpfe frei machen für eine Exkursion zur weltweit größten Ausstellung von Gegenwartskunst, der „documenta“ in Kassel.

Zusammen mit 17 Coburger Studierenden der Studiengänge Innenarchitektur, Versicherungswirtschaft und Integriertes Produktdesign und mit Unterstützung der Betriebswirtin Professor Petra Gruner versuchte der Kulturwissenschaftler alles hinter sich zu lassen, was in den vorhergehenden Semestern unterrichtet wurde: mit Berufsorientierung, Anwendungsbezug oder Praxisnähe würden sie in Kassel nicht weit kommen. Dafür konnten sie völlig neue Blicke auf die Welt kennenlernen – und wurden selbst zum Teil der Ausstellung.

Tatsächlich gehört die Auseinandersetzung der Besucherinnen und Besucher mit den Kunstarbeiten für die Ausstellungsmacher mit zum Konzept – schnelle Antworten und einfache Verständnishilfen werden nicht angeboten. „Auf sehr subtile Art zum Fühlen und Denken angeregt“, erlebt sich deshalb Luca Reinhardt, Student der Innenarchitektur. „Wir konnten nicht recht fassen, was wir eben gesehen hatten“, berichtet auch die angehende Coburger Designerin Anja Hofmann. Die Fahnen der Staaten Europas aus zersplitterndem Glas, ein Vorhang aus streng riechenden Rentierschädeln, Wasserrohre, die als Notunterkunft für Studierende und Flüchtlinge dienten, eine Filmdokumentation über Kannibalismus in einer Tofu-Fabrik – mit Kunstarbeiten wie diesen beschäftigten sich die Studierenden.

Was sie dabei gelernt haben, war vor allem, vorgefasste Meinungen über Bord zu werfen und sich nicht auf allzu schnelle Urteile zu verlassen. „Wir müssen uns genauer mit den Dingen beschäftigen“, fasst Jonas Dinkel zusammen, der in Coburg Versicherungswirtschaft studiert. Und die Innenarchitektin Sophia Schlamminger erkannte, dass viele Fragen „auf den zweiten Blick viel umfassender und konkreter sind als anfangs vermutet.“ Solche Wahrnehmungserweiterungen gehörten zum Konzept der Lehrveranstaltung, wie Professor Petra Gruner betont: „Genaues Hinschauen und Beschreiben von fremden Sachverhalten sind wissenschaftliche Grundfertigkeiten, die in allen Studienfächern dringend benötigt werden.“ Ohne das BMBF-geförderte Drittmittelprojekt „Der Coburger Weg“ wäre diese außergewöhnliche Erfahrung jedoch nicht möglich gewesen – sie hätte schon aus Zeitgründen in den meisten Fächern nicht in den Lehrplan gepasst.