Goethes binäre Botschaft

Donnerstag. 07. Oktober 2021 (Natalie Schalk)
Monika Supé vor dem Kunstwerk, das sechs auf zehn Meter hoch im viergeschossigen Foyer des neuen ITMZ der Hochschule Coburg angebracht wurde. Porträt: Wolfgang Feßlmeier, Fotomontage: Monika Supé
In der Werkstatt von Rüdiger Lüst patinierte Mitarbeiter Keoma Slavik die Ziffern, damit das Messing älter wirkt. Foto: Monika Supé
Mit einer Hebebühne hat die Firma Lüst Metallgestaltung Supés Kunstwerk in Coburg angebracht. Foto: Rüdiger Lüst
Damit der Binärtext Schatten wirft, wurde er mit Abstandshaltern befestigt. Foto: Rüdiger Lüst
Immer neue Perspektiven. Foto: Rüdiger Lüst

Alte Weisheit und junge Technik verbindet die Künstlerin Monika Supé zu einem Werk, das sie speziell für einen besonderen Ort entworfen hat: „Goethe 2021“ wurde im Neubau des IT- und Medienzentrums ITMZ der Hochschule Coburg installiert.

Als Monika Supé das Gebäude zum ersten Mal sah, wusste sie sofort, dass nichts fehlt. „Da ist alles da. Das muss man nicht mit Kunst verschönern oder verbessern oder was auch immer.“ Trotzdem bewarb sie sich beim Kunstwettbewerb, den das Staatliche Bauamt Bamberg zum Neubau des IT- und Medienzentrums (ITMZ) der Hochschule Coburg ausgelobt hatte – und gewann. „Ich finde nicht richtig, sich so einem Gebäude mit Kunst überzuordnen und etwas ganz anderes reinzubringen.“ Die Herausforderung für sie war, allem gerecht zu werden: der auffälligen, modernen Architektur mit messinggoldener Fassade, Sichtbeton und Balkonen im Inneren, dem Sinn des Gebäudes als Ort des Wissens und den Menschen, den Studierenden, die hier lernen. Supé fand einen Gedanken, der zu all dem passt: „Eigentlich weiß man nur, wenn man wenig weiß; mit dem Wissen wächst der Zweifel.“

Eine Notiz von 1826

Sie hatte Bücher und Webseiten voller Zitate berühmter Persönlichkeiten gewälzt, aber als sie in einer Anthologie auf diese Notiz Goethes stieß, hörte sie auf zu suchen. „Goethe hatte so Hefte, kleine Bände, in die er Gedanken schrieb.“ Das Zitat stammt aus „fünfter Band, drittes Heft, 1826.“ Es passte. „Im Leben gibt es immer mal so Etappen, wo man denkt: Super, jetzt habe ich echt was begriffen.“ Supé schweigt, überlegt. „Und wahrscheinlich hat man das auch. Aber je länger man sich damit auseinandersetzt, was man über die Jahre so in seinen Kopf reinzieht, desto mehr stellt man fest, dass es doch eigentlich noch vielschichtiger, diffiziler“, dann lacht sie laut: „na: eben doch irgendwie anders gelagert ist!“

Zwischen unendlichem Wissen und Fake News

Mit dem Wissen wächst der Zweifel. Goethes philosophische Idee fand sie passend für Lernende, für Lehrende, „und im Zeitalter der Fake News für uns alle“. Weil die schiere Menge an Informationen stetig zunimmt, sei eine gesunde Skepsis „wissenschafts- ja, lebensnotwendig.“ Außerdem kam ein praktischer Faktor dazu: „Die Länge des Zitats passte auch gut.“ Supé verwendet es nicht in gewöhnlichen Menschenworten. Weil sie zeigen wollte, wie das ITMZ die Welt der Bücher und die digitale Welt verbindet, übertrug sie den Text in Binärcode, in die Sprache der Computer. „Dadurch wird es aber länger.“ Es gab Überlegungen, die Nullen und Einsen als Laufschrift einzublenden, aber auch für ein Audio-Kunstwerk, bei dem der Binärcode vorgelesen wird. Aber die Künstlerin entschied sich anders.

Der Blick der Architektin

Dr. Monika Supé, Jahrgang 1967, kommt aus Hohenschäftlarn  im Landkreis München. In den 1990er Jahren hat sie Architektur studiert, später über visuelles Wahrnehmungstraining promoviert, sie lehrte an verschiedenen Hochschulen und hatte eine Professur an der Akademie für Mode und Design. Vor etwa zehn Jahren hat sie beschlossen, sich mehr Raum für ihre gestalterische Arbeit zu nehmen. Seitdem arbeitet sie als freischaffende Künstlerin. „Aber ich bin natürlich auch Architektin und für mich ist der Raum Thema.“ Goethes in Binärcode übertragene Zeilen sollten an die Wand. So dass sich über die Freitreppen und Innenbalkone im 15 Meter hohen Foyer immer neue Perspektiven ergeben.

Goethes Hand

Supé suchte aus einer Handschrift des Dichters verschiedene Nullen und Einsen, sortierte und kombinierte sie zu dem 613 Zeichen langen Binärcode, der aussieht wie von Goethes Hand geschrieben. Die Firma Lüst Metallgestaltung des Kunstschmiedemeisters Rüdiger Lüst kümmerte sich ums Lasern der Ziffern in Messingblech, kantete und bearbeitete sie. „Ich habe mich nicht nur im Konzept, sondern auch in der Umsetzung nah an der Architektur orientiert. Etwas, dass das Gebäude schon hat – das fand ich gut.“ An der Fassade des ITMZ glänzen Messingplatten wie Computerplatinen aus Gold. Kurz vor der Eröffnung hat der Neubau des Bibliotheks- und Rechenzentrums der Hochschule Coburg noch keine Patina. „Aber das wird kommen.“ Deshalb wurde die Messingschrift des Kunstwerks speziell behandelt. „Irgendwann wird das Material außen wahrscheinlich eine ähnliche Farbigkeit haben.“