Grenzgänger zwischen Kunst und Sozialarbeit

Mittwoch. 16. Juni 2021 (Natalie Schalk)
Prof. Björn Bicker

Das Thema ist bei Kunst und Sozialarbeit das Gleiche: Björn Bicker beschäftigt sich mit Menschen. Mit den Umständen des Lebens. Als neuer Professor für Kulturarbeit und Community Building bringt Bicker an der Hochschule Coburg die beiden Disziplinen zusammen.

Ein Junge und seine große Schwester: Elvira, ein Mädchen in der Pubertät. Ihre Sehnsucht. Nach der ersten Liebe. Nach ihrer Klasse, ihrer Schule, dem Land, in dem sie noch vor ein paar Wochen lebte. Die Familie wurde aus Deutschland in den Kosovo abgeschoben – in ein Leben aus Müll, Gewalt, Prostitution. Und Tod. Der Junge in der Geschichte heißt „Egzon“ und das nach ihm benannte Hörspiel ist eines von Björn Bickers Werken, die in der Audiothek von ARD und Bayerischem Rundfunk vertreten sind. Bickers Bücher erscheinen im Antje Kunstmann Verlag und seine Theaterstücke werden auf zahlreichen deutschsprachigen und internationalen Bühnen aufgeführt. Mit viel beachteten Stadtprojekten wie „Bunnyhill“ oder „Urban Prayers“ hat er sich als Künstler überregional einen Namen gemacht. Er war Dramaturg unter anderem am Wiener Burgtheater und den Münchner Kammerspielen, wurde ausgezeichnet mit verschiedenen Literatur- und Theaterpreisen. Seit dem Sommersemester 2021 forscht und lehrt er als Professor für Kulturarbeit und Community Building an der Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit der Hochschule Coburg.

Prof. Björn Bicker bezeichnet das als konsequenten Schritt aus seinem bisherigen Schaffen: „Es war immer so, dass ich an der Grenze gearbeitet habe zwischen künstlerischer und sozialer Arbeit.“ Einen Riesenrespekt habe er vor dem Fach, das seine Studierenden sich ausgesucht haben, erzählt er und dass es jetzt einfach schön sei, die künftigen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter im Studium zu erleben. „So viele engagierte Leute, die etwas bewirken wollen, die Gesellschaft gestalten und anderen Menschen helfen wollen: Das finde ich echt umwerfend.“

Vernetzung mit lokalen Akteuren gesucht

Er vermittelt den Studierenden, wie Kulturarbeit die Gemeinschaft und die Nachbarschaft stärken kann. „Wie kann man eine Gesellschaft formen?“ Bicker hat es auf verschiedene Weise ausprobiert. Ein Beispiel: Mit dem Deutschen Schauspielhaus entwickelte er das Community Art Center „New Hamburg“ in einer ungenutzten Kirche im migrantisch geprägten Hamburger Stadtteil Veddel. L’art pour l‘art, also sinngemäß etwa „die Kunst rein um der Kunst willen“, war nie sein Anliegen. „Mich hat immer interessiert: Wie kann Kunst Einfluss nehmen auf Diskurse und konkret wirksam werden in gesellschaftlichen Zusammenhängen?“ Diese Haltung und seine Erfahrungen gibt er nun an die Studierenden der Sozialen Arbeit in Coburg weiter. Er lehrt Erstsemester Grundlagen der Medien und Kulturästhetik und gibt ein Schreibseminar. Und er sucht die Vernetzung mit lokalen Akteurinnen und Akteuren. Er möchte, dass der Grenzgang zwischen Sozialarbeit und Kultur in konkrete Projekte in der Region Coburg mündet.

Bicker hat Literatur, Philosophie und Rhetorik in Tübingen und Wien studiert und war fast 20 Jahre als Theatermacher, Schriftsteller, Projektentwickler, Dozent und Kurator unter anderem in München, Hamburg, Stuttgart, Zürich, Venedig und Toronto tätig. In seinem Werk geht es um die gesellschaftlichen Fragen zu Teilhabe, Partizipation, Diversität und immer wieder um Migration. „Güldens Schwester“, Bickers jüngstes Hörspiel, das sich ebenfalls in der Audiothek von ARD und BR findet, erzählt beispielsweise von Fatma, einer jungen Lehrerin, die sich durch ein Verbrechen auf dem Hof ihrer Schule an Details der Einwanderungsgeschichte ihrer eigenen Familie erinnert. An ihre Mutter, die so gut zuhören konnte und mit warmen, türkischen Worten antwortete, an Alltagsrassismus und ein Familiendrama. „Die Globalisierung geht nicht mehr weg“, sagt Bicker. „Uns bleibt nichts anderes übrig, als sie freudig anzunehmen und zu gestalten. Deshalb interessiert mich Migration so sehr: Weil es ein zentrales gesellschaftspolitisches Thema ist. Da geht es um Zusammenhalt.“ Und das ist eines der großen Themen – in Kunst und Sozialarbeit.