Hochschule im Homeoffice

Dienstag. 24. März 2020 (Natalie Schalk)
Dozentin Antje Vondran beim jüngsten Video-Dreh für ihre Vorlesung – sie filmt immer an unterschiedlichen Plätzen ihrer Wohnung.
Prof. Dr. Jutta Michel hält ihre Vorlesung Zuhause am Stehtisch. Sie chattet mit den Studierenden.

Labore und Werkstätten der Hochschule Coburg sind geschlossen, Vorlesungssäle leer. Professoren und Studenten arbeiten Zuhause. Sie chatten, sie filmen, sie gehen neue Wege. Corona hat Bewegung in die Lehrmethoden gebracht.

Bachelor-Studiengang Versicherungswirtschaft an der Hochschule Coburg: Um 8.30 Uhr beginnt die Vorlesung „Grundlagen der Tarifgestaltung und Kalkulation“. 8.13 Uhr: Tamara ist als erste da. Vier Minuten später kommt Augustina, dann Nikolai, Lea, Alina – die Studierenden sitzen in ihren WGs und Elternhäusern vorm Computer; in der digitalen Welt trudeln sie jetzt im Chatraum der Kurs-Plattform „Moodle“ der Hochschule ein. Hier hat ihre Professorin Dr. Jutta Michel vorher bereits das Skript hochgeladen, und zwar mit dem klaren Arbeitsauftrag, den ersten Teil durchzuarbeiten: „Welche prämienrelevanten Bestandteile stecken eigentlich in einem KLV- oder Rentenprodukt?“

8.21 Uhr: Auf den Bildschirmen der zwei Dutzend Studierenden poppt eine neue Nachricht auf: „Jutta Michel hat den Chat betreten.“ In Strümpfen steht die Professorin zu Hause in ihrer Wohnung vor ihrem hohen Tisch mit dem Laptop darauf. Sie tippt: „Einen wunderschönen guten Morgen! Können Sie sehen, was ich schreibe?“ Die Studierenden bestätigen, dass technisch alles klappt, begrüßen sich, erkundigen sich nach dem gegenseitigen Befinden. Corona hat den Umgang miteinander verändert. Gesundheit ist überall Thema. Trotzdem geht der Lehr-Betrieb weiter. 8.30 Uhr: Die Online-Vorlesung beginnt. Es geht um den Unterschied zwischen klassischer Lebensversicherung und Verträgen mit geringeren Garantien. Die Professorin fragt, die Studierenden antworten.

Studium im Homeoffice

Tamara ist eine von ihnen. Das Skript hat sie auf einem extra Bildschirm geöffnet. Damit sie nicht alles auf dem kleinen Laptop-Screen verfolgen muss, hat die Studentin den alten Monitor ihres Freundes aus dem Keller geholt. Sie sitzt am Esszimmertisch der gemeinsamen Wohnung in Weitramsdorf und macht sich Notizen. Nach den Vorlesungen räumt sie den Tisch jeden Tag wieder frei. „Ich versuche dennoch, meinen normalen Tagesablauf auch in dieser besonderen Situation so gut es geht beizubehalten.“ Es sei alles eben ein bisschen provisorisch. „Das ging ja so schnell, von einem Tag auf den anderen.“ Aber sie sei sehr dankbar, dass Jutta Michel sich da so viel Mühe gibt: Die Professorin bekommt eine gute Note: „Sie macht das wirklich super“, findet die Studentin.

Kreative Ideen

Prof. Dr. Michael Lichtlein, Vizepräsident für Lehre der Hochschule Coburg, hat die Erfahrung gemacht, dass die Lehrenden pragmatisch mit der Situation umgehen. „Wir handeln schnell und zielführend, um soweit wie möglich gute Voraussetzungen für die Umstellung auf digitale Lehre zu ermöglichen. Dabei ist auch ein kreativer Umgang mit der Situation gefragt.“ Als Beispiel nennt er eine Kooperation des Referats Didaktik und digitale Lehr- und Lernformate mit dem Projekt „EVELIN“ der Fakultät Elektrotechnik und Informatik. So wurde eine Videoplattform für die ganze Hochschule geöffnet. „Sie bietet eine Schnittstelle zu unserer Lernplattform Moodle. So können die Studierenden innerhalb der Lehrvideos beispielsweise Tags und Kommentare setzen.“

Video zu Wipo

Wie die Professoren die Möglichkeiten nutzen, hängt von ihrem Thema ab. Und ein bisschen auch vom Typ. Bei einer Vorlesung steht erst einmal nur „Wirtschaftspolitik“ in der Mitte des Bildschirms. Darunter etwas kleiner „Master Betriebswirtschaft, SoSe 2020. Lutz Schneider“, und eben diesen Lutz Schneider sehen die Studierenden rechts unten in einem kleinen Fenster und können ihn mit dem „Play-Dreieck“ starten: „Ja Grüß Gott, liebe Studierende“, sagt der Volkswirtschafts-Professor, „herzlich willkommen zur Veranstaltung Wirtschaftspolitik im Sommersemester 2020“. Damit die MP4-Datei nicht zu groß wird, werde er das Video von sich nun ausschalten. Der Ton bleibt: „Sie werden von mir eine wirtschaftspolitische Fragestellung zugeordnet bekommen und ich werde Sie dann in einer 1:1-Betreuung coachen – damit Sie diese wirtschaftspolitische Fragestellung angemessen beantworten können. Nämlich im Sinne einer Seminararbeit, die Sie dann abfassen werden.“ Statt persönlichen Treffen an der Hochschule bietet Schneider Mail, Telefon, Video-Konferenz und Moodle-Chat an.

Filmtalent in der Bioanalytik

Bioanalytikerin Antje Vondran hält ihre komplette Vorlesung auf Video fest. Die Dozentin hat sich für den Kurs „Lebensmitteltechnologie“ Beamer und Kamera an der Hochschule ausgeliehen und daheim ihr Wohnzimmer umgeräumt. Der Raum ist abgedunkelt, nur die Kuckucksuhr ganz links passt nicht zur Vorlesung und der Präsentation, die sie mit dem Beamer an die Wand wirft.

„Lebensmittelrecht“ steht dort, wo noch vor einer Stunde Bilder hingen. Darunter eine Karikatur: Eine Verkäuferin - umgeben von Brot und Wurst und jeder Menge Leckereien - wird von zwei Kontrolleuren besucht. „Essbare Lebensmittel sind leider aus“, behauptet die Verkäuferin – und die Dozentin lacht laut und herzhaft in die Kamera. Die witzigen Videos im MP 4-Format sind besonders beliebt. Aber auch in diesem Semester müssen die Studierenden einiges leisten. „Als Literatur habe ich digitale Bücher vorgegeben, die die Studierenden kostenlos als Download über die Bibliothek erhalten“, sagt Vondran. Einmal in der Woche macht sie einen kleinen Test als Moodle-Umfrage. „Aus den Antworten kann ich Rückschlüsse darauf ziehen, ob die erforderlichen Kompetenzen vollständig oder nur teilweise erworben wurden.“

"Wir lernen jetzt alle etwas"

Es ist 9.59 Uhr, Jutta Michels Versicherungswirtschafts-Kurs endet. „Fazit für heute“, tippt sie, „bevor wir uns an die Kalkulation eines Preises wagen können, muss man immer genau prüfen, was eigentlich die zugesagte Leistung ist.“ Es folgen Arbeitsaufgaben. Eigentlich ist es wie immer. Und doch nicht ganz. „Ich war sehr aufgeregt“, erklärt die Professorin nach dem Chat. Sie nutzt die Lehrplattform Moodle seit fünf Jahren, stellt Skripte, Literatur, Übungsaufgaben und Lösungen ein. Jetzt testet sie auch Präsentation mit Audio-Powerpoint und Video. Aber ein großes Problem löst die Technik nicht. „Ich sehe die Reaktion nicht, sehe nicht, ob einer unglücklich oder irritiert guckt.“ In jedem Kurs gebe es Studierende, die nie reden. „Bei einer normalen Veranstaltung gehe ich hin und spreche sie an – und ich lächle dabei oft“, sagt Michel. „Das ist online um vieles schwerer.“

Von den Studierenden kamen aber nur positive Rückmeldungen. „Keiner erwartet, dass alles gleich perfekt läuft“, sagt Studentin Tamara. Mit vielen ihrer Kommilitonen ist sie sich einig darüber, dass die Krise das Studium in Richtung Digitalisierung vorantreiben wird. „Wir lernen jetzt alle etwas.“