Industrie 4.0 - von der Theorie in die Praxis

Dienstag. 20. Oktober 2020 (Pia Dahlem)
Prof. Dr. Eva Brandmeier
Prof. Dr. Eva Brandmeier

Zum Wintersemester 2020/21 startet Dr. Eva Brandmeier als Professorin in der Fakultät Maschinenbau und Automobiltechnik der Hochschule Coburg. In ihrem Lebenslauf findet man den Begriff Industrie 4.0 immer wieder. Was das genau bedeutet und welche Erfahrungen sie als Ingenieurin in der Wirtschaft gemacht hat, erzählt sie hier.

Welchen Eindruck hatten Sie von der Hochschule Coburg vor Ihrer Berufung?

Ich habe die Hochschule immer positiv wahrgenommen, als eine moderne Hochschule, die sehr engagiert ist. Das hat mich auch dazu bewogen, mich hier zu bewerben.

Welche Bereiche übernehmen Sie in der Fakultät für Maschinenbau und Automobiltechnik?

Zum einen werde ich Vorlesungen meines scheidenden Kollegen Prof. Dr. Winfried Perseke und von Hans-Herbert Hartan im Bereich der Konstruktionstechnik und der Maschinenelemente übernehmen. Mein Schwerpunktbereich sind selbstlernende Maschinen und Digitalisierung. Ich fange gerade an, diese Bereiche hier aufzubauen.

Was genau bedeutet denn „selbstlernende Maschinen“?

Im Prinzip ist man heute schon in der Lage, in der Produktion sehr viele Daten zu erfassen, weiß aber oft nichts damit anzufangen. Das ist diese Big-Data-Thematik; man versucht, Strukturen in diese großen Datenmengen hineinzubringen. Grob gesagt: Der Weg der selbstlernenden Maschinen ist eigentlich, dass die Maschinen selber aus den Ergebnissen, die sie produzieren, lernen. So können sie zum Beispiel Gutteile und Ausschuss erkennen. Wir reagieren ja intuitiv auf gewisse Einflüsse unterschiedlich. Genauso ist das Ziel von selbstlernenden Maschinen, dass sie durch die verschiedenen Daten, beispielsweise Maschinenparameter, Umgebungseinflüsse oder Materialparameter, selbst lernen, wie sie sich einstellen müssen, wie sie reagieren, um ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen.

Sie haben vor Ihrer Berufung an die Hochschule Coburg bei Automobilzulieferern gearbeitet. Wie weit ist denn die Branche im Bereich Industrie 4.0?

Da ist man noch gar nicht so weit. Ein Handy hat ja schon viel künstliche Intelligenz (KI), es lernt, wo Sie sich an welchem Tag hinbewegen, es kennt unsere Gewohnheiten, lernt daraus. Aber in der Industrie ist das noch gar nicht angekommen. Die Fertigung ist mittlerweile so weit, dass sehr viele Maschinen mit Sensorik ausstattet sind, sehr viele Daten erfasst werden. Man weiß jedoch noch nichts damit anzufangen. Wichtig ist immer das Zusammenspiel aus Sensorik und Aktorik. Also, dass ich nicht nur erfasse, sondern auch wieder eingreifen kann. Diese Brücke ist nur bei wenigen Vorreiterfirmen in Pilotprojekten implementiert.

Wo liegt Ihrer Meinung nach die Herausforderung für die Praxis in diesem Bereich?

Es gibt mittlerweile sehr viele Lehrbücher für künstliche Intelligenz und selbstlernende Systeme, aber es fehlt häufig die Verknüpfung zur Anwendung in der Praxis. Die Industrie wird mit solchen Schlagwörtern konfrontiert, es fehlt jedoch häufig der Brückenschlag zu dem: Wie kann ich das überhaupt umsetzen? Was bedeutet das für mich? Was bedeutet das für meine Probleme? Das ist für mich die Herausforderung, den Studierenden beizubringen, wie man das in der Praxis umsetzen kann.

Was möchten Sie den Studierenden in den ersten Semestern vermitteln?

Mir ist es immer wichtig in der Vorlesung einen Bezug zur Praxis einzubauen, um den Studierenden näher zu bringen, warum sie etwas lernen. Um beispielsweise eine technische Zeichnung richtig zu lesen, oder eine mit CAD erstellte Zeichnung normengerecht zu ergänzen, muss man gelernt haben, mit der Hand zu zeichnen. Es kann auch niemand ein Kochbuch schreiben, wenn er selber nie gekocht hat.

Wie sind Sie überhaupt in den technischen Bereich gekommen?

Ich habe mich bereits in der Schule immer für die naturwissenschaftlichen Fächer begeistert. Zu Beginn gab es schon kritische Stimmen: Du als Frau und Maschinenbau, traust du dir das zu? Dann habe ich mich erst für Wirtschaftsingenieurwesen entschieden und bin für den Master zu Maschinenbau gewechselt, weil mich die technische Komponente viel mehr interessiert hat. Ich habe es nie bereut und mich da auf dem Weg nicht beirren lassen.

Wie ging es Ihnen in der Industrie als junge Frau im technischen Bereich?

Nach meiner Erfahrung ist es in der Industrie, trotz allem Streben nach Gleichberechtigung, ein kleiner Kampf. Es ist wirklich klischeehaft: Man wird als junge Frau in dieser Männerdomäne mit gewisser Altersstruktur nie von Anfang an so akzeptiert, wie vielleicht ein Mann im gleichen Alter, mit der gleichen Qualifikation. Seinen Stellenwert und den Respekt muss man sich durch Engagement und Leistung erkämpfen. Ich hoffe sehr und setze mich dafür ein, dass sich das in den nächsten Jahren verändert.

Wie sehen Sie Ihren Aufgaben an der Hochschule Coburg entgegen?

Ich freue mich auf die Arbeit mit den Studierenden! Weil ich kein rein theoretisches Forschungsgebiet haben möchte, will ich auch intensiv mit Unternehmen zusammenarbeiten. Ich möchte die Forschung sinnvoll weitertreiben, daher ist es mir wichtig, mich mit der Praxis und deren Problemstellungen und Visionen auseinanderzusetzen. So wird es meine Aufgabe sein, intensiv den Austausch mit der Industrie zu suchen.