Kein Tag ist wie der andere

Freitag. 06. April 2018 (Anke Hempfling)
In der Klinischen Sozialarbeit ist die gute Verbindung zwischen Patient und Sozialarbeiter essentiell.

Die Arbeit mit psychisch erkrankten Menschen erfordert zu jeder Zeit höchste Sensibilität. Das wissen Tanja Noe und Danny Ochs aus eigener Erfahrung. Der berufsbegleitende Masterstudiengang Klinische Sozialarbeit ermöglicht es den beiden, neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft direkt anzuwenden.

Eigentlich wollte Danny Ochs Lehrer werden. Stattdessen arbeitet der junge Mann heute mit Straftäter*innen, die psychisch krank sind. Schwere Körperverletzung, Tötungsdelikte, Brandstiftung, Sexualvergehen – sein Arbeitsumfeld wirkt auf Außenstehende oft einschüchternd. Seine Entscheidung hat er aber nie bereut: „Ich wollte schon immer wissen, was mit den Menschen passiert ist und warum“, erzählt er. Viele seiner Patient*innen hätten in ihrer Jugend selbst schlimme Erfahrungen machen müssen. „Erst kürzlich wurde eine Patientin eingeliefert, die schon so gut wie jede Hilfe im sozialpsychiatrischen Bereich erhalten hat. Bisher scheint aber nichts angeschlagen zu haben. Da wusste ich dann auch erst einmal nicht mehr weiter“, sagt Danny Ochs. Um neue Strategien und Methoden kennenzulernen, die ihm in solchen Fällen weiterhelfen könnten, hat er vor gut einem Jahr beschlossen, berufsbegleitend zu studieren.

Der erste seiner Art

Die Klinische Sozialarbeit startete 2001 als erster berufsbegleitender Masterstudiengang an der Hochschule Coburg und darüber hinaus als erster seiner Art in ganz Deutschland. Das Besondere: Coburg setzt das Studienkonzept in enger Kooperation mit der Alice-Salomon Hochschule in Berlin um. Beide Hochschulen haben eine führende Rolle in der inhaltlichen Entwicklung der Klinischen Sozialarbeit. Das bedeutet für die momentan 120 eingeschriebenen Studierenden, dass sie an zwei Hochschulstandorten abwechselnd unterrichtet werden. 25 Studienplätze gibt es pro Jahr. Bewerber*innen müssen für die Zusage allerdings einige Voraussetzungen erfüllen: „Sie müssen mindestens ein Jahr Berufserfahrung in einschlägigen Tätigkeitsfeldern mit beratend-behandelnden Aufgaben nachweisen. Außerdem müssen sie neben dem Studium wenigstens 15 Stunden in der Woche im psychosozialen beziehungsweise sozialtherapeutischen Bereich arbeiten. Nur so kann der Transfer zwischen Praxis, Lehre und Forschung gelingen, der für eine wissenschaftlich fundierte Weiterqualifizierung so wichtig ist“, erläutert Prof. Dr. Christine Kröger, die den Studiengang in Coburg leitet.

Tanja Noe kann sich noch gut an den Beginn ihres Studiums erinnern. Voller Begeisterung erzählte sie damals ihren Freunden, wie bereichernd die Verbindung von Theorie und Praxis sei. Seit über einem Jahr ist die 25-jährige in einer Einrichtung für psychisch kranke Erwachsene in Bamberg beschäftigt. Sie betreut Bewohner*innen, die bereits einen längeren Klinikaufenthalt auf der geschlossenen Station hinter sich haben. Im Studium an der Hochschule Coburg kann sie ihre Fälle wissenschaftlich reflektieren und parallel ihre sozialtherapeutischen Kompetenzen erweitern.

Was das Kernanliegen von Klinischer Sozialarbeit angeht, habe man mit der Einrichtung des Studiengangs in Coburg und Berlin Pionierarbeit geleistet, stellt Professorin Kröger fest. Wir müssten noch stärker realisieren, dass Gesundheit wesentlich von sozialen Einflüssen abhängt. „Um zu ermöglichen, dass es Menschen nachhaltig besser geht, dürfen wir nicht ausschließlich eine medizinische oder psychologische Perspektive einnehmen. Wir müssen unsere Therapieansätze um eine soziale Dimension erweitern.“

Vollzeitjob und Studium

Dass dieser Ansatz funktioniert, kann Tanja Noe bestätigen. Bei einer Patientin mit bipolarer Störung konnte sie ein Therapiemodell anwenden, das sie erst im Studium kennengelernt hat. „Die Frau hatte immer wieder gedroht, sich umzubringen. Anhand einer Methode zur Verhaltensanalyse konnte ich Schritt für Schritt mit ihr die Krisensituation und deren Auslöser ergründen. Das hat ihr geholfen, zu verstehen, warum sie so handelt und besser auf Warnsignale zu achten“, sagt Noe. Dass sich jemand so ausführlich mit ihrer Geschichte und ihrem Erleben beschäftigt, habe der Patientin neuen Mut gegeben.

Die Heimbewohner*innen von Tanja Noe sind im Schnitt 40 bis 50 Jahre alt. Sie sollen den Weg stufenweise von der vollstationären Tag- und Nachtbetreuung, über betreute Wohngemeinschaften und Einzelwohnungen bis hin zur vollkommenen Selbständigkeit gehen. Dabei unterstützt die junge Frau ihre Patient*innen bei ganz alltäglichen Dingen wie Kochen und Putzen und begleitet sie zu Behörden- oder Arztterminen. „Wir wollen die Leute auffangen und sie darauf vorbereiten, ihren Alltag selbst zu meistern. Ich bespreche mit ihnen, wie sie mit ihren Medikamenten umgehen, wie sie mit der Diagnose zurechtkommen und was sie tun können, falls wieder der Gedanke an Selbstverletzung oder Suizid aufkommt.“ Ziel ist es, die Bewohner*innen an einen festen Tagesablauf zu gewöhnen. Dazu gehört die Erfahrung, auch mit Krankheit einen sinnvollen Beitrag für die Allgemeinheit leisten zu können. Tanja Noe arbeitet 30 Stunden pro Woche im Früh-, Spät- und Wochenenddienst. Zusätzlich hat sie Rufbereitschaft über Nacht. „Mein Arbeitsalltag ist zwar sehr bereichernd, aber auch sehr anstrengend. Es gibt keinen Tag, der so verläuft, wie der andere“, sagt sie. Nebenbei zu studieren, ist eine Herausforderung. Das berufsbegleitende Studium verlange viel Eigeninitiative und eine hohe Belastbarkeit ab, bestätigt Christine Kröger. Die Lehrveranstaltungen finden während des Semesters als Wochenendblock einmal im Monat statt. Darüber hinaus müssen die Studierenden Zeit in die Vor- und Nachbereitung investieren.

Auch Danny Ochs kennt die Herausforderung, das Studium mit seinen Dienstzeiten zu vereinbaren. Er hat einen Vollzeitjob, muss sich manchmal um bis zu 18 Patient*innen kümmern. Deren Opfer lernt er übrigens nicht kennen. Das sei wichtig, um den Mensch als Ganzes und nicht nur als Straftäter sehen zu können und ihm Empathie und Wertschätzung entgegenbringen zu können. „Das geht nur, wenn ich die Tat von ihm abspalte“, sagt Ochs. Dann sei es auch einfacher, nach Dienstende mit den Fällen abzuschließen. Und auch in dieser Hinsicht bietet das Studium einen Vorteil. Im Gespräch mit den Kommiliton*innen und Dozent*innen kann man sich untereinander austauschen und Herausforderungen und Probleme fachlich einordnen.

 

Dieser Artikel erschien erstmals in der Ausgabe 01/2018 des Hochschulmagazins mit dem Schwerpunktthema "Praxis im Studium". Die Onlineversion des Magazins gibt es hier.