Nur Geduld! Doktorarbeit über Aktualität einer alten Tugend

Montag. 19. Oktober 2020 (Natalie Schalk)
Bettina Siebert-Blaesing und Prof. Dr. Niko Kohls nach der Disputation

Im Zeitalter der Beschleunigung erforscht eine Doktorandin die Geduld: Wie junge Menschen sie lernen und wofür sie sie brauchen, analysiert Bettina Siebert-Blaesing in ihrer Doktorarbeit an der Hochschule Coburg und der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

Geduld ist Charaktersache. „Es gibt einfach verschiedene Typen. Geduld kann man nicht trainieren. Aber“, sagt Bettina Siebert-Blaesing „man kann aus Erfahrung lernen.“ Die Sozialpädagogin hat in ihrer Doktorarbeit untersucht, wie wichtig Geduld ist, wie sie als Ressource genutzt werden kann, um schwere Situationen des Lebens gesund durchzustehen und wie das jungen Leuten durch gezieltes Coaching vermittelt werden kann. „Erfahren werden kann Geduld unter anderem durch Ruhe, Gelassenheit und gutes Zuhören.“ Ob sie auch einen Tipp hat, wie jeder Geduld üben kann? „Sich im Supermarkt mal bewusst an die Kasse mit der längsten Schlange stellen!“ Sie lacht. „Oder wenigstens jemanden vorlassen. Probieren Sie das mal, es geht auch im Straßenverkehr – und wie es ein Lächeln ins Gesicht der anderen Menschen bringt, ist eine schöne Erfahrung.“

Anderen Menschen etwas von der eigenen Zeit zu schenken braucht Geduld. „So in der Art hat das einer der jungen Leute gesagt, die ich für meine Doktorarbeit befragt habe“, erklärt Siebert-Blaesing. Sie arbeitet gern mit jungen Menschen. Vor über 25 Jahren hat sie ihren Abschluss in Sozialpädagogik an einer Fachhochschule gemacht und seitdem umfangreiche Erfahrung in der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit gesammelt. Aus der Praxis heraus entwickelte sie die Idee zu ihrer Doktorarbeit. „Ausgangspunkt war der Leistungsdruck. Immer mehr junge Leute haben Burnout-ähnliche Symptome – schon vor dem Berufsleben. Wenn die Gesellschaft zu hektisch ist, braucht man eine Steuerungsmöglichkeit.“

Gemeinsam mit Prof. Dr. Niko Kohls von der Hochschule Coburg konkretisierte sie ihren Ansatz. Der Coburger Professor für Gesundheitswissenschaften ist einer der beiden Doktorväter der kooperativen Promotion. Als Erstbetreuer wurde Prof. Dr. Bernd Birgmeier von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt gewonnen. Siebert-Blaesing hat die Dissertation in den vergangenen sieben Jahren neben ihrer Arbeit als Sozialpädagogin und Supervisorin geschrieben und nun mit einer sehr guten Leistung verteidigt.

Titel der Arbeit ist „Geduld als Ressource der Gesundheitsförderung junger Erwachsener im Einzelcoaching - Qualitative Befragung im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ)“, und sie umfasst eine historisch-philosophische Analyse von Geduld und einen empirischen Teil. Dafür hat die Doktorandin über drei Jahre hinweg junge Menschen befragt, die ein Freiwilliges Soziales Jahr beim Erzbischöflichen Jugendamt München und Freising (EJA) absolviert haben. „Die Übergangssituation zwischen Schule und Beruf ist eine interessante Phase, in der viele Entscheidungen anstehen.“ Geduld ist für die jungen Erwachsenen aber nicht nur in diesem Abschnitt wichtig. Sie wird als Ressource fürs ganze Leben gesehen. Als Rollenvorbilder seien besonders die Eltern prägend. „Lehrer, Ausbilder und Sozialpädagogen können Geduld ideal im alltäglichen Miteinander sowie gezielt im Einzelcoaching mit konkreten Handlungsempfehlungen thematisieren.“

Prof. Birgmeier bezeichnet die Arbeit als „Meilenstein empirischer Forschung für die wissenschaftliche Untermauerung von Einzelcoaching“ und hebt die hervorragende innovative Leistung hervor. Prof. Kohls ergänzt: „Die Rolle der Geduld in der Coachingarbeit mit jungen Erwachsenen ist im Kontext der Gesundheitsförderung und der Sozialen Arbeit ein wichtiges, zeitgemäßes Thema, das noch nicht ausführlich erforscht wurde.“

Durch Corona hat das Thema sogar noch an Aktualität gewonnen. „Wir werden gerade alle zu Experten der Geduld“, sagt Siebert-Blaesing. „Aber Geduld ist nicht in jedem Moment greifbar. Homeoffice, Homeschooling: Wer zehn Sachen gleichzeitig bewältigen muss, ist in dieser Situation genervt. Das ist nicht schlimm.“