Reicht Impfen allein aus?

Dienstag. 04. Mai 2021
Prof. Dr. Astrid Herold-Majumdar
Prof. Dr. Astrid Herold-Majumdar

Prof. Dr. Astrid Herold-Majumdar kennt sich aus in der Pflege. Nach einer Ausbildung zur Krankenschwester arbeitete sie lange Jahre u.a. in der Langzeitpflege, als Heim- und Pflegedienstleitung sowie im Medizinischen Dienst. Seit 2011 ist sie Professorin für Pflegewissenschaft an der Hochschule München und baut dort aktuell auch einen Bachelor-Studiengang „Angewandte Pflegewissenschaft“ mit integrierter Berufsausbildung auf. Am Do., 6. Mai, 18:30 Uhr nimmt sie teil am virtuellen Talk „Impfen und dann?“, der von der Hochschule Coburg auf Youtube ausgestrahlt wird. Vorab haben wir sie nach ihren Schlussfolgerungen gefragt, die sie aus der Pandemie zieht.

Wird alles wieder gut, wenn wir geimpft sind?

Herold-Majumdar: Impfen ist ein wichtiges und adäquates Mittel, um die Pandemie in den Griff zu bekommen. Wir sollten dankbar sein, dass es gelungen ist, in so kurzer Zeit gute Impfstoffe zu entwickeln, die uns vor Infektion, schweren Erkrankungen und den Folgen schützen. Aber das reicht nicht aus.

Welche Schlüsse ziehen Sie als Pflegewissenschaftlerin aus der Pandemie?

Wir haben in der Pflege einen eklatanten Fachkräftemangel, und zwar sowohl in der Intensiv- als auch in der Langzeitpflege. Der Politik ist das Problem seit Jahren bekannt, aber die Lösung wird von einer Legislaturperiode in die nächste geschoben.

Häufig hört man, der Pflegeberuf sei unattraktiv. Stimmt das?

Dafür gibt es keine Belege. Die Berufsfachschulen für Pflege sagen uns, dass die Bewerberlage gut ist. Pflege ist ein abwechslungsreicher, sinnvoller und schöner Beruf, in dem man Menschen helfen kann. Was uns fehlt, ist wissenschaftlich gut ausgebildetes Pflegepersonal. Nur etwa 0,4 Prozent der Pflegekräfte haben eine akademische Ausbildung. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen empfiehlt mindestens 20 Prozent. Die Anforderungen an die Pflege sind in den letzten Jahren enorm gestiegen. Die Fachkräfte sollten heute beispielsweise in der Lage sein, Studien zu lesen und auszuwerten, mikrobiologische Zusammenhänge zu verstehen, Hygienekonzepte zu entwickeln und umzusetzen. Sie könnten dann auch stärker bei der Test- und Impfstrategie aktiv mitwirken.

Wie lässt sich eine bessere Ausbildung realisieren?

Es gibt in Deutschland schon einige Pflegestudiengänge, die jedoch für junge Menschen nicht attraktiv genug sind. Denn obwohl sie – genauso wie die Schülerinnen und Schüler in den Fachschulen – während ihres Studiums 2.300 Stunden in der Praxis arbeiten müssen, haben sie keinen Anspruch auf eine Vergütung aus dem Pflege-Ausbildungsfonds. Außerdem gibt es in der Pflege – anders als bei den Ärzten – keine Pflicht zur Weiterbildung. Das wäre jedoch dringend erforderlich. Die Pflege muss in Deutschland einen höheren Stellenwert erhalten, auch in der Forschung. Und wir brauchen in den Einrichtungen eine Fehler- und Lernkultur. Es geht darum, Fehler anonymisiert zu erfassen, diese zu diskutieren und daraus zu lernen. Außerdem hat die Pandemie gezeigt, dass wir besser und achtsamer kommunizieren müssen. Dabei geht es nicht nur um die Weitergabe von Wissen, sondern um den offenen Dialog mit den Menschen. Darum, ihre Ängste und Sorgen ernst zu nehmen, mit ihnen zu reden und ihnen Informationen an die Hand zu geben. Damit sie sich selbst ein fundiertes Urteil bilden können und selbstbestimmt über ihre Gesundheit entscheiden können.

Hier geht es zum Talk

Wer mehr über die Schlussfolgerungen aus der Pandemie erfahren will, kommt am 6. Mai um 18:30 Uhr über www.hs-coburg.de/talk in den Talk auf Youtube. Neben Prof. Herold_Majumdar diskutieren Johannes Singhammer, Vizepräsident a.D. des Deutschen Bundestags, Prof. Dr. Ursula Engelen-Kefer, Vizepräsidentin des Sozialverband Deutschland sowie Prof. Dr. Mathias Bellinghausen, Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft für Prävention gem. e.V. Die Moderation übernehmen Prof. Dr. Niko Kohls und Dr. Markus Neufeld von der Hochschule Coburg