Ringvorlesung „No war!”: Bedingungen des Friedens

Montag. 21. November 2022 (Natalie Schalk)
Claudia Lohrenscheit
Prof. Dr. Claudia Lohrenscheit / Foto: Danny Wiegand / Hochschule Coburg

Wie kann der Krieg in der Ukraine enden? Die Ringvorlesung „No war. Bildung als Praxis des Friedens“ beleuchtet die Rolle von Sozialer Arbeit und Menschenrechten, von internationalen Beziehungen, Wohlstand und Bildung – Prof. Dr. Claudia Lohrenscheit und Prof. Dr. Andrea Schmelz aus der Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit der Hochschule Coburg führen sie mit Kolleg:innen aus Erfurt, Würzburg und Klagenfurt durch. Die Initiative wurde gemeinsam in der Fachgruppe Internationale Soziale Arbeit (FG ISA) in der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA) entwickelt, das Programm gemeinsam gestaltet und die Wissenschaftler:innen moderieren die Diskussion und binden Studierende ihrer jeweiligen Hochschulen mit ein. Die Ringvorlesung steht aber allen Interessierten offen. Sie findet online statt. Lohrenscheit erklärt, worum es geht.

No war - aber wie kann dieser Krieg enden? Und wird sich unsere Welt dadurch nachhaltig verändern? Gibt es in der Ringvorlesung Antworten auf diese Fragen?
Prof. Dr. Claudia Lohrenscheit: Die wichtigste Antwort ist immer das aktive Bekenntnis zu Frieden und Menschenrechten, das wir heute mehr denn je verteidigen müssen. Dabei dürfen wir nicht vergessen, wie jung diese Ideen in der Menschheitsgeschichte tatsächlich sind. Jahrhundertelang war das Recht, Krieg zu führen, das Privileg eines jeden souveränen Staates. Unendlich viele junge Männer sind zum Beispiel zu Beginn des Ersten Weltkriegs mit Begeisterung und Überzeugung an die Front gegangen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg und mit der Gründungscharta der Vereinten Nationen vereinbarten die Staaten der Welt, gemeinsam Frieden zu schaffen, und haben dafür auch konkrete Instrumente verabschiedet. In Art. 33 der UN-Charta heißt es beispielsweise, dass bei Konflikten, die wohlmöglich den Weltfrieden und die internationale Sicherheit gefährden können, die beteiligten Parteien sich bemühen müssen, den Konflikt durch Verhandlung, Vermittlung, Vergleich etc. beizulegen. Es ist ganz klar: An Verhandlungen und internationaler Diplomatie führt kein Weg vorbei.

Welche Rolle spielt Soziale Arbeit für den Frieden?
Bevor wir über den Frieden sprechen können, müssen wir uns zuerst die Rolle im Krieg ansehen. Denn Soziale Arbeit ist genauso wie die Gesundheits- und Pflegeberufe immer direkt in das Kriegsgeschehen involviert, das wissen wir schon aus unserer eigenen Geschichte heraus. Im Ersten Weltkrieg war sie zum Beispiel aktiv an der Organisation der „Heimatfront“ beteiligt, und auch im Zweiten Weltkrieg wurde sie von der Nazidiktatur vereinnahmt. Es gilt also, wachsam zu bleiben. Heute bedeutet es: zum Kriegsgeschehen Position zu beziehen; sich als international agierende Profession zu verstehen. Die Soziale Arbeit nimmt dabei die Verwobenheit von lokalem Handeln, globaler Vernetzung und Solidarität in den Blick, und will gleichzeitig transformativ wirken. Dabei bedeutet Frieden natürlich nicht nur die Abwesenheit von Krieg (als „negativer Frieden“), sondern es muss darum gehen, Bedingungen eines positiven Friedens zu schaffen, das heißt Abbau von struktureller Gewalt, und Ungerechtigkeit; die Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums, die eine Teilhabe aller erst ermöglicht.

Die Ringvorlesung trägt den Untertitel „Bildung als Praxis des Friedens“. Was bedeutet das – und heißt es, dass es Russland an Bildung mangelt?
Die Fachgruppe Internationale Sozialarbeit hat in Kooperation mit anderen Fachgruppen der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit bereits wenige Tage nach Beginn des Angriffskriegs das Positionspapier „No War in Ukraine!“ vorgelegt, mit dem wir uns klar zur Bildung und der Rolle der Sozialen Arbeit als Menschenrechts- und Friedensprofession positioniert haben. In der Ringvorlesung wird es hierzu in den kommenden Wochen viele interessante Impulse geben: Einfach vorbeikommen! Die Komplexität der aktuellen Situation in Russland ist dabei immer wieder Thema. So hat beispielsweise Sebastian Schäffer, Geschäftsführer des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa, in Wien die regionalen Perspektiven stark gemacht. Auf dem Demokratie-Index steht Russland als einer der autoritären Staaten nicht mal mehr im Mittelfeld. Der Referent machte deutlich, dass der Konflikt die gesamte Region betrifft sowie vor allem die direkten Nachbarstaaten, etwa Belarus und Polen – wie es auch der jüngste Raketeneinschlag in Polen vergangene Woche gezeigt hat.

Der Ukraine-Krieg steht in keiner Prüfungsordnung und keinem Stundenplan – wie kommt das Thema bei den jungen Menschen an?
Wir binden Studierende der verschiedenen Hochschulen mit ein, die im Rahmen verschiedener Seminare die Vorträge vor- und nachbesprechen. Hier in Coburg heißt unser Vertiefungsmodul im Bachelor-Studiengang Soziale Arbeit „Feminismus, Frieden und Gerechtigkeit“. Die Soziale Arbeit versteht sich als Friedens- und Menschenrechtsprofession, und das bedeutet auch, dass wir neben der alltäglichen Arbeit mit Menschen vor Ort in den Kommunen, Hilfe leisten angesichts der permanenten Katastrophe durch Kriege, Krisen und Konflikte. Unsere Studierenden wissen das sehr genau. Insbesondere im Praxissemester kommen sie ganz direkt mit den Folgen des Krieges in Verbindung, beispielsweise in dem sie geflüchtete Familien (vor allem Frauen und Kinder) aus der Ukraine bei ihrem Gang durch den Behördendschungel unterstützen. Dabei merken sie auch, wie unterschiedlich geflüchtete Menschen behandelt werden, und wie enorm schwierig es ist, ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen, auch wenn diese vielfach traumatisiert sind.

Welches Thema des Programms war Ihnen am wichtigsten – und warum?
Hier kann ich nicht nur ein Thema nennen, aber was mir positiv auffällt ist, wie interdisziplinär und vernetzt unsere Referent:innen denken. So ist es zum Beispiel eine Selbstverständlichkeit auch Genderperspektiven zu berücksichtigen oder sozialarbeiterisches Handeln in Krisensituation - allen Widrigkeiten zum Trotz - auch mit den Dimensionen der Nachhaltigkeit zusammenzudenken, das heißt Menschen, Planet, Wohlstand, Frieden und Partnerschaft. Das ist unsere Menschheitsaufgabe. 

Termine: Die Ringvorlesung findet statt während der Vorlesungszeiten montags um 17.30 online. Genauere Informationen und Zugangsdaten finden sich jeweils bei den Veranstaltungen im Kalender.