„Schönheit ist effektiver“: über die Psychologie guten Designs

Mittwoch. 24. Mai 2023 (Pressestelle)
Ein schönes Bild? Aber warum? Prof. Dr. Michael Heinrich beschäftigt sich mit Ästhetik und ihrer Wirkung auf Menschen. Foto: privat

Warum lieben wir alte Fabrikgebäude? Was steckt hinter dem Trend zur minimalistischen Küche? Und schwächt eine hässliche Umgebung tatsächlich die Leistungsfähigkeit? Prof. Dr. Michael Heinrich forscht und lehrt an der Hochschule Coburg unter anderem zur psychologischen Ästhetik und erklärt, wie Farbe und Licht, Form und Funktion sich auf Emotionen, Wohlbefinden und Lebensqualität auswirken. Heinrich ist einer der Gründer und Leiter des Forschungsinstituts Mensch & Ästhetik, das an der Hochschule Coburg und der Universität Bamberg angesiedelt ist, außerdem ist er Mentor in der Fokusrichtung „Humanorientierte Architektur und Gestaltung / Psychologische Ästhetik“ des Masterstudiengangs Design an der Hochschule Coburg.

An wen richtet sich dieser Masterstudiengang?
Prof. Dr. Michael Heinrich: Wir bieten Absolventinnen und Absolventen aus Architektur, Innenarchitektur und Produktdesign verschiedene Vertiefungsschwerpunkte an. Dabei können Studierende einerseits ihre angestammte Disziplin vertiefen und eine besondere Fachkompetenz stärken, aber andererseits auch – je nach Interesse – spannende Querschnittsthemen erforschen. Die Fokusrichtung „Humanorientierte Architektur und Gestaltung / Psychologische Ästhetik“ verknüpft wissenschaftliche Erkenntnisse über den Menschen mit Fragen der Gestaltung. Damit führen wir Architektur und Design enger an menschliche Wahrnehmung und an menschliches Wohlbefinden heran.  

Inwiefern hat Ästhetik Einfluss auf Wohlbefinden und Gesundheit?
Auch wenn wir gewohnt sind, uns als vereinzelte, relativ autonom agierende Wesen zu sehen, bilden wir ein psychophysisches System mit unserer Umwelt. Wir sind evolutionär darauf angelegt, alle sinnlichen Wahrnehmungen aus dem Umfeld daraufhin zu deuten, ob sie uns gut tun oder nicht, und darauf körperlich mit entsprechenden Handlungsbereitschaften zu reagieren. Diese Deutung wird von biologischen, aber auch sozio-kulturellen und biografischen Faktoren beeinflusst, aber eines ist klar: Wenn unser Gehirn zum Schluss kommt, dass eine Umgebung nicht gut für uns ist, reagieren wir mit Stress, und dieser Stress schwächt mittelfristig unsere Leistungsfähigkeit und Resilienz. Schönheit ist auch aus funktionaler Sicht effektiver als komplette ästhetische Indifferenz, wie wir sie in vielen Lebenswelten häufig erleben müssen. Denn es gibt es viele künstliche, gebaute Umwelten, die Wohlbefinden und Gesundheit eher schwächen als unterstützen. Andersherum können positive ästhetische Erfahrungen ganze Kaskaden von resilienzfördernden Prozessen in Gang setzen.

Und solche positiven Erfahrungen lassen sich bei der Gestaltung planen?
Planen lässt sich eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit für positive Erfahrungen. Und dabei sind unsere Fakultät und das angeschlossene Institut Mensch & Ästhetik – mit unserem wissenschaftlich gestützten Profil zur Humanorientierung von Architektur und Gestaltung – in Deutschland einzigartig. Unsere Studierenden lernen, durch gezielten Einsatz von Strukturen, Formen, Räumlichkeit, Licht und Farbe die menschlichen ästhetischen Bedürfnisse aufzugreifen und unsere Gefühle, Reaktionen, Motivation und unser Wohlbefinden damit zu beeinflussen.

Warum lieben wir beispielsweise Musikevents in alten Fabrik- oder Brauereigebäuden?
Wir lieben Kontraste, weil sie uns in einen meist angenehmen Erregungszustand versetzen. Das Nebeneinander von moderner Technik und sichtlich alter Architektur enthält eine solche kontextuelle Spannung. Gleichzeitig erzählt uns diese Kombination etwas über die Kontinuität menschlicher Aktivitäten und kann uns Geborgenheit und Verwurzeltsein, damit auch Zukunftsvertrauen geben. Zusätzlich erinnert uns das Motiv der Fabrik in einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt an die rauhe Körperlichkeit frühindustrialisierter Produktion. Das sind schon drei große Motive, warum die Umnutzung von alten Gebäudebeständen – neben ökologischer Nachhaltigkeit – auch ästhetisch so überaus lohnend sein kann.

Welche Rolle spielen Faktoren wie Mode und Zeitgeist?
Mode und Zeitgeist sind Hauptströmungen des Geschmacks, in denen sich individuelle Vorlieben durch gemeinsame kollektive Erfahrungen und Kontexte synchronisieren. Ganz wichtig in diesem Zusammenhang ist die Funktion von Moden und Lifestyles als Ausweis der Gruppenzugehörigkeit. Als Angehöriger mancher Gruppen bzw. Milieus sollte man Mitglied im Golfclub sein oder eine minimalistische Küche haben. Oder man kleidet sich ganz in Schwarz, wie viele Architekt:innen, Regisseure oder Künstler, die damit, quasi als Standestracht, ihren Ernst und ihre Seriosität betonen. Prinzipiell kann jeder ästhetische Selbstausdruck einer Gruppenzugehörigkeit dienen oder sie verhindern. Das kann jeder Mensch aus seiner eigenen Biografie heraus nachvollziehen. Da Menschen nicht nur Freiheit, sondern auch Regeln, Ordnung und Aufgehobenheit brauchen, bleiben viele Leute einmal gelernten Konventionen treu. Konventionen sind sozusagen unser unsichtbares Zuhause. Menschen kaufen also zum Beispiel hellblaue Strampler für kleine Jungs, weil schon ihre Großeltern das getan haben, und geben damit diese Konvention als frühe Prägung sehr nachhaltig weiter. Die Farbe selbst ist dabei nicht so wichtig.  

Welche Rolle spielt in Wirtschaft und Gesellschaft der Zusammenhang zwischen Psychologie und Gestaltung?
Das Marketing zeigt schon seit den 1920er Jahren, wie wichtig dieser Zusammenhang ist, und im Kommunikations- und Produktdesign gibt es dementsprechend eine lange Tradition, Erkenntnisse der Gestaltpsychologie für den Designprozess zu nutzen. Architektur war im 20. Jahrhundert stark von normativen Richtungsstreits geprägt, die häufig zu ideologischer Lagerbildung führten. Eine solche Lagerbildung neigt dazu, differenziertere psychologische Fragestellungen als Relativismus zurückzuweisen und stattdessen markante, politisch auffälligere Positionierungen zu bevorzugen. Währenddessen haben sich vor allem im englischsprachigen Ausland viele psychologisch untermauerte Gestaltungsperspektiven herausgebildet, etwa im Health Design, die nun in den deutschsprachigen Raum diffundieren. Junge Architekt:innen und Gestalter:innen sehen häufig nicht mehr ein, dass sie Konventionen folgen sollen, die weder in wissenschaftlich fundierter Humanorientierung noch in ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit begründet sind. Wir tragen dieser Entwicklung Rechnung, indem wir dem bestehenden Portfolio bald auch einen Schwerpunkt im Gesundheitsbau folgen lassen. Es wird Zeit, dass psychologisch fundierte menschliche Lebensraumgestaltung nicht mehr allein einem konsumorientierten Marketing überlassen wird, sondern in größerem Maßstab der Kohärenz und dem Wohlbefinden unserer Gesellschaft zur Verfügung steht.

Wer sich für Design oder die anderen Studiengänge der Hochschule Coburg interessiert, kann sich ab jetzt hier für das Wintersemester 2023/24 anmelden und einschreiben.