Theorie trifft Realität

Dienstag. 07. Mai 2019 (Madelaine Ruska)
Mirko Düsel
Mirko Düsel erzählt, wie Siemens einen kompletten Geschäftsbereich restrukturiert hat.

Was Studierende lernen, müssen sie in der Praxis manchmal vergessen. Vor allem in Krisen. Besonders schwierig ist das, wenn es um Personal und Führung geht.

Wenn Prof. Dr. Hedwig Schmid (Fakultät Wirtschaftswissenschaften) zum Vortrag einlädt, kommen sie alle. Studierende von Betriebswirtschaft, Industriewirtschaft und Versicherungswirtschaft. Heute haben sich selbst ein paar aus den technischen Studiengängen angeschlossen. Dreimal im Semester holt die Professorin Referenten an die Hochschule, die von ganz konkreten Projekten und Erfahrungen aus ihrem Unternehmen berichten. Immer unter dem Aspekt der Personalführung und –strategie. Personalpraxis im Dialog heißt die Reihe. Und heute, zum Auftakt, gibt es gleich ein ganz besonderes Thema. Change Management nach Restrukturierung – klingt lapidar, geht aber um die Schieflage eines Geschäftsbereichs in einem der größten deutschen Traditionsunternehmen: Siemens. In einem Geschäft mit 6000 Beschäftigten in mehr als 100 Ländern auf der Welt konnten Projekte nicht abgewickelt werden. Die zu erwartenden Verluste waren enorm. „Die Wellen, die das im Unternehmen geschlagen hat, sind bis zu mir gedrungen – und ich war damals noch in einem ganz anderen Bereich“, sagt Mirko Düsel, heute Leiter der Geschäftseinheit Transmission Solution (Energieübertragung), die damals ebenfalls betroffen war.

Was war passiert? Der Geschäftsbereich sollte für die Übertragung des Stroms von vier Windparks auf dem Meer sorgen. Es sind Pionierprojekte. Erfahrungen gibt es noch nicht. Den Kunden wurden Fixpreise und Fertigstellungstermine zugesagt. Aber die Übergabe der Parks verzögert sich. Zusätzlich zu den ausbleibenden Gewinnen drohen Vertragsstrafen. Ein gesamter Geschäftsbereich stand auf dem Prüfstand.

Auf so eine Situation kann ein Studium nur bedingt vorbereiten. Umso wichtiger ist Professorin Hedwig Schmid deshalb, dass die Studierenden mit Unternehmern reden können, die so etwas schon erlebt haben. Vor allem, weil im Ausnahmezustand nicht immer gilt, was man in der Theorie gelernt hat. Das traf auch hier zu.

Um die Verluste zu stoppen, leitete Siemens damals eine Phase ein, in der Prozesse und Verantwortlichkeiten streng definiert waren, Entscheidungen nur noch hierarchisch getroffen wurden. „Widerspricht das nicht allem, was man heute von seinen Mitarbeitern erwartet?“, fragt eine Zuhörerin. „Man erzählt ihnen doch immer, dass sie sich einbringen und querdenken sollen.“ „Ja, das stimmt“, nickt Düsel. „Aber in dieser Phase brauchen sie einen, der strikt voranschreitet. Ansonsten kommt es dazu, dass keiner mehr Entscheidungen trifft, weil niemand die Verantwortung übernehmen will.“

Nach einer sehr restriktiven Phase, habe sich der Geschäftsbereich wieder konsolidiert. Langsam konnten eine neue Strategie, Ziele und Visionen entwickelt werden. „Wir haben Mitarbeiter zurückgewonnen und das Vertrauen wiederaufgebaut. Auch bei den Kunden.“ Das sei nicht von heute auf morgen gegangen, sondern habe mehrere Jahre gedauert.

Eine Studentin geht nach dem Vortrag auf den CEO zu: „Ich interessiere mich sehr für die Organisation von Projekten. In meinem Studiengang gibt es dazu nicht so viele Kurse. Wie kann ich lernen, was ich dafür brauche?“ „Ich habe Elektrotechnik studiert und seit meinem Abschluss nicht einen Tag in diesem Fach gearbeitet“, sagt Düsel. „Das Studium war die Grundlage für meinen beruflichen Werdegang. Wichtig ist aber: Tun Sie das, was Sie gerne machen, dann sind Sie auch gut darin.“

In der Reihe Personalpraxis im Dialog gibt es im Sommersemester noch zwei weitere Vorträge. Am 14. Juni ist Rüdiger Eck von AUDI zu Gast, am 4. Juli Dirk Kutschki von Bosch Sicherheitssysteme.