Windows-Jubiläum: „Ein neuer Computer war ein Quantensprung“

Montag. 24. August 2020 (Natalie Schalk)
Prof. Dr. Christian Zagel
Prof. Dr. Christian Zagel
Buket Kurtulus
Michael Mützel
Michael Mützel

Am 24. August 1995 kam Windows 95 heraus. Es war das Betriebssystem, das den PC in den Alltag brachte. Wie sehen es die verschiedenen Generationen heute? Drei Standpunkte aus der Hochschule Coburg.

Buket Kurtulus (21) war noch nicht geboren, als Windows 95 auf den Markt kam. Sie studiert an der Hochschule Coburg Informatik. Michael Mützel ist seit über 20 Jahren Systemadministrator im Rechenzentrum der Hochschule. Der 49-Jährige kennt die Sorgen und Nöte der Nutzer. Prof. Dr. Christian Zagel, 38, ist Wirtschaftsinformatiker und Innovationsforscher. Er leitet den Studiengang ZukunftsDesign und weiß Bescheid über neueste Trends und Forschungsergebnisse. Alle drei lieben Technik auf ihre Weise – und die reicht vom iPhone bis zum selbst implantierten NFC-Chip in der Hand. Anlässlich des Windows-Jubiläums sprechen sie heute über Entwicklungen in der Computertechnik.

Welche Erinnerung haben Sie an Windows 95?

Buket Kurtulus: Keine. Grafische Oberfläche, Internet – das war in meiner Kindheit schon völlig normal. Ich bin 1999 geboren und auf dem ersten Rechner, mit dem ich zu tun hatte, lief Windows Vista. Der PC stand im Zimmer meines großen Bruders. Internetcafés kenne ich aus der Türkei, da war das noch verbreitet, als man hier längst Internet im Haus hatte. Schon in der Grundschule habe ich angefangen, damit zu lernen.

Michael Mützel: Meinen ersten Computer hatte ich so mit zwölf Jahren: einen Commodore 116 mit 16 Kilobyte. Als Windows 95 herauskam, war ich 24 und habe Elektrotechnik studiert. Informatik war noch sehr theoretisch auf Programmcodes ausgerichtet, da hat mich Nachrichtentechnik mehr interessiert. Das Nette an dieser Zeit war, wie sich alle über Neuerungen gefreut haben. Für ein neues Modem hat man sich begeistert, eine Bandbreitenerweiterung wurde gefeiert und ein neuer Computer war ein Quantensprung. An Windows war vor allem die Fenstertechnik besonders – die gab‘s zwar schon vorher, auch bei Spielecomputern wie Atari und Amiga lief das Programm in einem Fenster. Mehrere Programme gleichzeitig in verschiedenen Fenstern anschauen zu können, war neu. Es war schon frech, das englische Wort für Fenster zu übernehmen, so dass man automatisch an das Microsoft-Betriebssystem denkt, wenn jemand im Englischen von Windows spricht. Heute macht Microsoft das Gleiche mit seinem Online-Dienst „Teams”.

Prof. Dr. Christian Zagel: Auf meinem ersten Computer lief Windows 2.0, es war ein 286er mit 20 MB-Festplatte, dazu ein schwarz-grüner Monitor: der alte Rechner meines Onkels. Für Windows 95 habe ich mir einen neuen Computer gekauft und noch aufgerüstet. Ich habe lange für mein erstes CD-Laufwerk gespart. Es hat 600 Mark gekostet. Windows 95 war das erste Betriebssystem, das nicht nur auf ein paar Dutzend Disketten ausgeliefert wurde, sondern auch auf einer Installations-CD. Und darauf war ein Musikvideo versteckt: „Buddy Holly” von Weezer. Das habe ich bestimmt 200 Mal geschaut. Videos auf dem PC abzuspielen, war total cool.


Welche Bedeutung hat Windows heute aus Ihrer Sicht?

Kurtulus: Heute nutze ich kein Windows mehr, ich bin irgendwann auf Apple umgestiegen. Zuerst hatte ich ein iPhone, dann kam der Mac … alle Geräte sind untereinander so gut kompatibel, dass ich nach und nach alles umgestellt habe.

Mützel: Für die Nutzer ist es wichtig, dass sie ein vertrautes Gefühl haben, auch bei einer Neuerung darf sich ein System nicht fremd anfühlen. Die Leute wechseln ungern ihr Betriebssystem. Kluges Marketing und Nutzerfreundlichkeit: Dadurch hat sich Windows so etabliert, dass das Symbol heute auf jeder Tastatur ist. Mir persönlich ist egal, mit welchem Betriebssystem etwas läuft. Das ist wie die Frage, welche Marke das Benzin an der Tankstelle hat.

Zagel: Stimmt, was es ausmacht ist, dass es funktioniert. Und das Marketing. Windows 95 war das erste System, das vorinstalliert zusammen mit dem Rechner vertrieben wurde. Bahnbrechend war auch die Bedienung: mit der Maus klicken statt mit der Tastatur DOS-Befehle tippen. Heute sind Spracheingaben und Touch in, aber das heißt ja nicht, dass das künftig auch so ist. Stellen Sie sich vor, Sie würden im Büro alles über Spracheingabe steuern. Man kennt das aus dem Supermarkt: Es ist doof, wenn da einer steht und quatscht. Oder Gestensteuerung. Wär auch irgendwie affig, wenn jemand in der U-Bahn mit der Hand vorm Gesicht rumfuchtelt.


Was bringt die Zukunft?

Zagel: Es gibt viel Interessantes in der Forschung: Kontaktlinsen mit Augmented Reality (erweiterter Realität), einen Ring am Finger, der eine Steuerung mit unauffälligen Handbewegungen am Oberschenkel ermöglicht oder Brain-Computer-Interfaces, Schnittstellen zwischen Gehirn und Computer. Mich interessiert NFC (Nahfeldkommunikation) zum kontaktlosen Austausch von Daten – persönlich und aus Forschungssicht. Ich habe mir einen in medizinisches Glas eingefassten NFC-Chip unter die Haut implantiert. Wenn ich die Hand mit dem Handy scanne, öffnet sich mein Paypal-Konto. Daheim öffne ich damit die Haustür. In Schweden kann man damit bezahlen oder sein Bahnticket darauf buchen, in Deutschland ist man zögerlicher. Die Leute haben Angst vor digitaler Transformation und Künstlicher Intelligenz, davor, dass ihre Daten nicht sicher sind und ihre Jobs nicht mehr benötigt werden. Aber früher haben auch 30 Leute auf dem Feld gearbeitet. Dann kam der Traktor. Wir brauchen Anpassungsfähigkeit und Offenheit. Dass die Welt sich verändert, werden wir nicht verhindern.

Kurtulus: Wenn ich sehe, wie sich die Technik entwickelt hat und wie es sich immer mehr beschleunigt, kann ich mir gut vorstellen, dass in 25 Jahren alles ganz anders aussehen wird. Ich lasse mich einfach auf das ein, was kommt. Aktuell interessiere ich mich besonders für Software Engineering und Embedded Systems - auf jeden Fall werde ich in einem spannenden Bereich arbeiten.

Mützel: Microsoft verkauft jetzt Dienste wie Teams oder One Drive, das wird wohl die Zukunft sein. Dass die Leute so an einem Betriebssystem wie Windows 95 hängen, ist vorbei. Was mit Windows 95 begann, endete mit Windows 10. Seitdem gab es viele neue Versionen, aber keinen neuen Namen mehr. Der Desktop interessiert im Grunde nicht mehr.