Ausstellung „Züge in den Tod" - Zeitzeugin mahnt: Nicht vergessen!

Dienstag. 09. April 2024 (Natalie Schalk)
Eine alte Dame mit leuchtend roter Jacke blickt in die Kamera
Ilse Gössl machte sich auf den Weg zur Hochschule, um die Ausstellung "Züge in den Tod" zu besuchen. Sie hat die NS-Diktatur als Kind in Coburg erlebt. Foto: Natalie Schalk / Hochschule Coburg

Die Ausstellung „Da49, Da512 – Züge in den Tod“ über Deportationen jüdischer Coburgerinnen und Coburger war noch nicht aufgebaut, als Ilse Gössl die Hochschule Coburg besuchte. „Es ist ein schlimmes Thema, da braucht man ein bisschen Ruhe. Ich wollte früh kommen, wenn nicht so viele Leute da sind.“ Am ersten Tag wurde aber erst nachmittags aufgebaut. Weil sie sich nun ohnehin von Cortendorf auf den Weg gemacht und am Campus Friedrich Streib durchgefragt hatte, erklärte sich die 89-Jährige auch bereit, zu erzählen, warum ihr das Thema so wichtig ist. Ilse Gössl hat die NS-Diktatur in Coburg als Kind erlebt.

Die 89-Jährige hat ganz klare, wache, blaue Augen, die in die Ferne blicken, als sie sich an die 1930er und 40er Jahre erinnert. „Als Kind habe ich nicht so viel mitbekommen. Bis das mit meinem Vater passiert ist.“ Ilse Gössl hakt sich unter, mit erstaunlich flottem Schritt geht es in Richtung Cafeteria. „Ich bin in Coburg geboren und aufgewachsen.“ Sie erzählt von der schönen Wohnung in der Hirsch-Villa. „Früher war das eine Judenschule mit Internat und riesigem Garten. Meine Eltern waren befreundet mit dem Juden Hirsch, der diese Schule geleitet hat. Die Hirschs sind gottseidank rechtzeitig geflüchtet.“ Ilse Gössls Familie mietete die Wohnung in der Hirsch-Villa von der Stadt.

Systematischer Mord

Nachdem im Herbst 1941 in Franken eine erste Deportationsserie stattfand, unter anderem mit dem „Frankentransport“ nach Riga-Jungfernhof, wurden in den Jahren 1942/43 die noch verbliebenen Juden in Konzentrations- und Vernichtungslager im östlichen Mitteleuropa verschleppt. Die meisten wurden dort ermordet. In der Ausstellung an der Hochschule Coburg geht es um die Schicksale von elf jüdischen Coburgerinnen und Coburgern.  

„Ganz schlimm!“ Ilse Gössl sagt, es sei damals nicht viel über die Juden gesprochen worden. Sie hatte eine schöne Kindheit. „Mein Vater war Lehrer am Ernestinum, Naturliebhaber und ein sehr korrekter Mensch.“ Er habe sich standhaft geweigert, in die NSDAP einzutreten. „Dann haben sie ihn ins Gefängnis gebracht. Sie haben gesagt, wenn er nicht eintritt, wird er erschossen.“ Das war kurz bevor die Amerikaner kamen. Ihr Vater wurde schnell wieder freigelassen. Bei Kriegsende war Ilse Gössl zehn Jahre alt. „Ich war froh, als das alles zu Ende war.“

Warum die Geschichte nicht vergessen werden darf

Fast 80 Jahre sind seit dem Ende von NS-Diktatur und Zweitem Weltkrieg vergangen. „Ich bin erschrocken, dass die Rechten heute so viele Stimmen gewinnen“, sagt Ilse Gössl. Sie spricht über politische Entwicklungen und über die Lebenszeit, die ihr noch bleibt. „Ich werde das alles nicht mehr miterleben. Aber ich habe drei wunderbare Urenkelkinder. Sie sind fünf, eindreiviertel und eineinhalb Jahre alt und ich habe Angst, dass sie noch schlimme Dinge erleben werden.“ Die aktuelle politische Situation mache ihr Sorgen. „Ich hoffe nicht, dass es sich in so eine Richtung wie damals entwickelt.“ Auch deshalb sei der Blick in die Geschichte wichtig. Die Ausstellung ist ein Beitrag dazu.

Die offizielle Eröffnung mit Rahmenprogramm findet am Mittwoch, 10. April, um 17 Uhr in der Säulenhalle statt. Die Ausstellung läuft bis Freitag, 19. April (frei zugänglich während der Öffnungszeiten der Hochschule Coburg: Mo - Fr: 6.30 bis 18 Uhr, Sa 7 bis 13 Uhr, So geschlossen). Gaby Schuller und Dr. Hubertus Habel aus dem Arbeitskreis „Lebendige Erinnerungskultur Coburg“ haben sie in Kooperation mit fachkundigen Kolleginnen und Kollegen aus Lichtenfels und Kulmbach erarbeitet. Die Ausstellung ist eingebettet in einen Kurs der Hochschule Coburg zur Geschichte des Holocaust und der langen Tradition jüdischen Lebens in Deutschland.