TAO Themenjahr: Wohlbefinden und Lebensqualität steigern – trotz Krebs

Donnerstag. 03. August 2023 (Cindy Dötschel)
Prof. Dr. Stefan Kalkhof von der Hochschule Coburg moderierte den Abend. Foto: Cindy Dötschel / Hochschule Coburg
Prof. Dr. Karin Meißner forscht und lehrt an der Hochschule Coburg zu Gesundheitsförderung. Foto: Cindy Dötschel / Hochschule Coburg
Dr. Klaus Post, Chefarzt des Schmerzzentrums am Regiomed Klinikum Coburg - Foto: Cindy Dötschel / Hochschule Coburg
Cornelia Antwerpen. Foto: Cindy Dötschel / Hochschule Coburg
Sabine Feuerbach-Heim von der Kontaktstelle Selbsthilfe. Foto: Cindy Dötschel / Hochschule Coburg
Dr. Stephanie Geidies ist spezialisiert auf Schmerzpsychotherapie. Foto: Cindy Dötschel / Hochschule Coburg

Etwa 200.000 Menschen sterben pro Jahr in Deutschland an Krebs. Damit ist die Krankheit noch immer die zweithäufigste Todesursache hierzulande. Beim „TAO Themenabend Krebs“ ging es darum, wie das Wohlbefinden und die Lebensqualität trotz Krebsdiagnose gesteigert werden können.

„Gesundheit analysieren und fördern“ ist einer der Forschungsschwerpunkte der Hochschule Coburg, die auf jahrelange Kooperationen in diesem Bereich zurückblickt – unter anderem mit dem Regiomed-Klinikum. Rund 50 Besucher:innen kamen zum „TAO Themenabend Krebs“ in die Alte Kühlhalle. Der Abend wurde vom Referat für Transfer und Entrepreneurship und dem Forschungsschwerpunkt organisiert. Neben Vertreter:innen der Hochschule und des Klinikums gaben an diesem Abend auch eine Expertin aus der Praxis und eine Vertreterin der Kontaktstelle Selbsthilfe ihr Wissen weiter. Im Fokus stand die Frage, wie das Wohlbefinden und die Lebensqualität bei einer Krebserkrankung gesteigert werden können.

„In Krankenhäusern ist der Krebs die Krankheit, die zeitlich gesehen am viertintensivsten ist“, sagte Prof. Dr. Stefan Kalkhof von der Fakultät Angewandte Naturwissenschaften und Gesundheit der Hochschule Coburg, der den Abend moderierte, in seiner Begrüßung. Aktuell erkranken deutschlandweit rund 500.000 Menschen pro Jahr an Krebs, 200.000 Menschen pro Jahr sterben an der Krankheit. „Der Abend soll Betroffene dazu ermutigen, ihre Kräfte zu stärken und einen Kampfgeist gegen den Krebs zu entwickeln“, sagte der Sprecher des Forschungsschwerpunkts Gesundheit.

Schmerzen enden nicht mit der Therapie

30 bis 40 Prozent der Menschen, die an Krebs erkrankt sind, haben auch noch Jahre nach der Erkrankung Schmerzen. Die Schmerzen sind biopsychosozial. Das heißt, es gibt körperliche Gründe für den Schmerz und psychosoziale Themen, die mit dem Schmerz einhergehen. „Der Schmerz steht im Mittelpunkt des Denkens und Handelns der Betroffenen“, sagt Dr. Klaus Post, Chefarzt des Schmerzzentrums am Regiomed Klinikum Coburg. Der Grund ist eine Neuropathie, also die Schädigung der Nerven infolge der Behandlung oder des Tumors selbst. „Im Verlauf verbessert sich der Nervenschaden. Bei rund einem Drittel der Patienten hält er aber an.“ Eine Möglichkeit zur Linderung ist die moderne Pharmakotherapie. Dabei wird gezielt geschaut, welche Medikamente bestmöglich zu den Patient:innen passen. Die Patient:innen sollen keine Angst vor der Medikamenteneinnahme haben.

In ihrer Masterarbeit hat eine Studentin der Gesundheitsförderung einen Plan für eine multimodale Schmerztherapie bei Krebspatient:innen entwickelt. Patient:innen in der Krebsnachsorge werden bedarfsbezogen von ihren Onkolog:innen an die Schmerzambulanz überwiesen. Das Programm für die multimodale Schmerztherapie, in dem verschiedene Therapieverfahren kombiniert werden, läuft über fünf Wochen, in denen jeweils zwei Behandlungstage angesetzt sind. „Ein relativ konstanter Baustein ist die Bewegung. Die Patienten sollen wieder aktiver werden und durch die geführte Therapie wieder in Bewegung kommen“, sagt Post. Ein Bespiel ist medizinisches Yoga. Ein weiterer Bestandteil ist die Psychoonkologie. Die Betroffenen haben oft mit Ängsten, Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen und einer geringeren Leistungsfähigkeit zu kämpfen. Das Feedback der Patient:innen, die das Programm durchlaufen haben, sei durchweg positiv. Sie seien selbst wieder aktiver geworden, Ängste konnten abgebaut werden.

Der Seele etwas Gutes tun

Dr. Stephanie Geidies betreibt eine Schwerpunktpraxis für Schmerzpsychotherapie. In ihrem Vortrag weist sie darauf hin, dass das biopsychosoziale Krankheitsmodell, bei dem neben der körperlichen auch die seelische Gesundheit und das soziale Umfeld betrachtet werden, in der Onkologie nicht immer berücksichtigt werde. „Ich wünsche mir, dass das Thema lange bevor man erkrankt, angegangen wird. Es geht um den ganzen Organismus und darum, dem Menschen als Ganzes etwas Gutes zu tun“, sagt die Medizinerin. Dies würde in der Palliativ- und Schmerzmedizin bereits gelebt und auch im Zusammenhang mit Tumorerkrankungen zunehmend in die Behandlung integriert. Mittlerweile seien in vielen Tumorzentren Psychoonkolog:innen vor Ort, die die Betroffenen als Menschen mitsamt ihrer Lebensumstände in den Blick nehmen und auch berücksichtigen, welche Herausforderung diese vor ihrer Erkrankung bereits gemeistert haben. „Wenn die Persönlichkeitsmerkmale, die Umgangsweise mit der Krankheit und das soziale Netz zusammenspielen, kann die Verarbeitung der Krankheit so gelingen, dass sich der Organismus in ein gutes Gleichgewicht bringt.“ Tumorpatient:innen sollten sich trotz der Belastung entspannen und erholen können. Eine zusätzliche Stressbelastung kann sich ungünstig auf den Krankheitsverlauf auswirken. „Wenn es nicht gelingt, den Stress zu regulieren, kann das eine psychische Erkrankung nach sich ziehen, die einer zusätzlichen Behandlung bedarf.“

In ihrer Praxis möchte Geidies ihren Patient:innen nicht nur dabei helfen, den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen, sondern auch der Krankheitsentstehung vorbeugen. Sie möchte den Patient:innen dabei helfen, gesund zu bleiben. Damit einher gehen unter anderem die Ernährung sowie eine regelmäßige Bewegung und Entspannung. „Die Salutogenese, also die Gesundheitsentstehung, geht mit dem Forschungsbereich der Psychoneuroimmunologie einher“, sagt die Medizinerin. Wie der Name bereits erahnen lässt, beschäftigt sich diese mit der Wechselwirkung der Psyche, des Immunsystems und des Nervensystems aufeinander. Untersuchungen auf dem Gebiet hätten ergeben, dass Stress unter anderem den Konsum von Fast Food, Alkohol und Nikotin sowie mangelnde Bewegung und Übergewicht begünstigt, was wiederum das Immunsystem beeinträchtigen und Auswirkungen auf das Zellwachstum haben könne. „Stress kann zur Tumorentstehung oder zur Metastasierung beitragen.“ Geidies appelliert, sich mit der Stressbewältigung auseinanderzusetzen, bevor überhaupt eine Erkrankung diagnostiziert wird.

Naturheilkundliche Ansätze bei Krebs

Was kann Naturheilkunde begleitend zur Chemotherapie leisten? Darum ging es in Cornelia Antwerpens Vortrag. Sie ist seit sieben Jahren in der Gynäkologie und Geburtshilfe und seit fünf Jahren in der ganzheitlichen Frauenheilkunde tätig. Dort berät sie Betroffene dazu, was diese zusätzlich zu ihrer schulmedizinischen Therapie tun können. Im ersten Teil ihres Vortrags ging es um die Integrative Onkologie. Dabei werden neben der schulmedizinischen Behandlung ergänzende komplementärmedizinische Methoden angewandt um das Wohlbefinden und somit auch die Gesundheit zu steigern. Qigong könne beispielsweise bei Schlafstörungen helfen und durch ein regelmäßiges Ausdauertraining könne das Erschöpfungssyndrom gelindert werden.

Die Misteltherapie ist in Deutschland, Österreich und der Schweiz das meistbenutzte Naturheilmittel bei onkologischen Erkrankungen. Die Substanz wird den Patient:innen unter die Haut gespritzt. „Die Misteltherapie hat zytotoxische Effekte auf die Tumorzellen“, sagte Antwerpen. Das heißt, die Tumorzellen werden geschädigt und sollen sich schließlich auflösen. Außerdem werden durch die Misteltherapie unter anderem das Immunsystem angeregt, der Tag-Nacht-Rhythmus reguliert und das Wohlbefinden gesteigert. Eine Studie, die eine Verlängerung der Lebenszeit belegt, gebe es bislang nicht. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten für eine Misteltherapie bei einer fortgeschrittenen Krebserkrankung.

Das Wohlbefinden mit Bewegung steigern

Zur Verbesserung des Wohlbefindens von Krebspatient:innen durch Bewegung referierte Prof. Dr. Karin Meißner, die im Bereich Gesundheitsförderung an der Hochschule Coburg forscht und lehrt. Sie stellte den Besucher:innen zwei abgeschlossene und eine laufende Studie vor.

Bei der ersten Studie wurde untersucht, ob ein mehrtägiges Hochseesegeln mit den „Segelrebellen“ die Lebensqualität junger Erwachsener, die an Krebs erkrankt sind, verbessert. An der Studie nahen 28 Menschen im Alter von 18 bis 40 Jahren teil, die nicht akut in Behandlung waren und zuvor noch nie an einem Segeltörn teilgenommen hatten. Die Teilnehmer:innen füllten direkt vor dem gemeinsamen Ausflug mit anderen Betroffenen sowie einen, drei und sechs Monate danach einen Fragebogen aus. „Die Studie hat ergeben, dass die Lebensqualität einen und drei Monate nach dem Törn deutlich besser war. Nach sechs Monaten gab es keine signifikanten Unterschiede mehr zu den Ausgangswerten“, sagte Meißner. Hochseesegeln könne die Lebensqualität also vorübergehend verbessern. Wenn Betroffene öfter segeln gehen würden, würde der Effekt vermutlich länger anhalten.

­­­­Die zweite Studie thematisierte die Auswirkungen einer spirituellen, geführten Meditation im Liegen auf das Wohlbefinden und die Schmerzen von Patient:innen mit Bauchspeicheldrüsenkrebs im fortgeschrittenen Stadium. „Die Fünfjahresüberlebensrate liegt bei dieser Krebsart bei fünf bis neun Prozent. Neben der Palliativbehandlung ist es wichtig etwas zu tun, was das Wohlbefinden verbessert und die Lebensqualität steigert.“ Die Teilnehmer:innen, die im Durchschnitt 62 Jahre alt waren, nahmen alle zwei Monate an einer Einzel-Meditation in Augsburg bei Meditationstherapeut Wolfgang Maly teil. Zusätzlich sollten sie zu Hause täglich mit einer CD meditieren. „Die Auswertung der Fragebögen und Interviews hat ergeben, dass die Schmerzen während der spirituellen Meditation vorübergehend gelindert und die Lebensqualität verbessert wurden. Auch der Stress und die Ängste der Teilnehmer:innen sind zurückgegangen.“  Diese vielversprechenden Ergebnisse sollen in einer Folgestudie überprüft werden.

­­Die Hochschule Coburg untersucht derzeit in Kooperation mit Regiomed, wie sich Yoga auf das Wohlbefinden von Brustkrebspatientinnen auswirkt. „Mit der Studie soll unter anderem herausgefunden werden, ob Yoga positiv die Schlafqualität und das Erschöpfungssyndrom verbessert.“ Wer zum ersten Mal eine Brustkrebsdiagnose erhalten hat, die nicht länger als ein Jahr zurückliegt, und an der Studie teilnehmen möchte, kann sich bei Prof. Dr. Karin Meißner melden.

Gemeinsamkeit und Zusammenhalt verbinden

Sabine Feuerbach-Heim ist bereits seit 36 Jahren hauptamtlich bei der Kontaktstelle Selbsthilfe tätig. „Es gibt nicht für jede Erkrankung eine Gruppe, aber in den ,Krebs-Gruppen‘ treffen sich Menschen, die die gleichen Sorgen, Ängste und Nöte teilen“, sagt sie. Die Gruppe sei ein verbindendes Glied. Für die insgesamt 82 Selbsthilfegruppen, die es in Coburg und Umgebung für alle möglichen Krankheiten gibt, stehen in der Neustadter Straße Räume mit einem barrierefreien Zugang zur Verfügung. Das oberste Prinzip ist die Gruppenverschwiegenheit. „Was die Gruppen zusammen machen, ist individuell.“ Manche Gruppen treffen sich nur zum Austausch, andere Gruppen machen gemeinsame Ausflüge. „Die Gruppe gibt Sicherheit, Selbstständigkeit, Stabilität und Selbstvertrauen“, sagt Sabine Feuerbach-Heim. Durch den Austausch können sich für die Betroffenen andere Perspektiven eröffnen.

Nächster Themenabend im September

Der „TAO Themenabend Krebs“ war nach dem TAO Themenabend Übergewicht der zweite von drei Themenabenden, die im Rahmen des TAO Themenjahrs Gesundheit von der Hochschule Coburg gemeinsam mit den Regiomed-Kliniken organisiert werden. TAO“ steht für Technologie-Allianz Oberfranken und ist eine Kooperation der vier oberfränkischen Hochschulen und Universitäten Bamberg, Bayreuth, Coburg und Hof. Die Veranstaltungen werden unterstützt durch das Projekt CREAPOLIS + design, gefördert im Rahmen der Bund-Länder-Initiative Innovative Hochschule.

Am dritten TAO-Themenabend am Dienstag, 19. September, steht Demenz im Fokus. Ziele der Veranstaltungsreihe sind die Vernetzung von Expert:innen aus Wissenschaft und Praxis sowie der Dialog mit und Information der Gesellschaft.