Versicherungswirtschaft: „Pandemie ist nicht kalkulierbar“

Donnerstag. 25. November 2021 (Natalie Schalk)
Leere Stühle: Während der Lockdowns fehlten im Gastgewerbe die Umsätze. In ihrer Bachelorarbeit in Versicherungswirtschaft beschäftigte sich Franziska Gagel damit, was Gastronominnen und Gastronomen im Raum Lichtenfels von Versicherungen erwarten. Foto: Mika Baumeister auf Unsplash
Franziska Gagel – Foto: privat
Jutta Michel
Prof. Dr. Jutta Michel - Foto: Hochschule Coburg

Seit dem ersten Lockdown wird darüber gestritten, ob Versicherungen zahlen müssen, weil Gastronomiebetriebe in der Pandemie geschlossen wurden. Für ihre Bachelorarbeit an der Hochschule Coburg hat Franziska Gagel speziell den Blickwinkel von Gastronominnen und Gastronomen im Landkreis Lichtenfels analysiert.

Ob schickes Restaurant oder Landgasthof, Grieche oder Café: Die Lockdowns brachten viele Gastronominnen und Gastronomen an den Rand der Existenz. Einige hatten eine Betriebsschließungsversicherung – aber Schäden wegen Pandemie deckt eine solche Versicherung oft nicht ab. „Sie tritt klassischerweise ein, wenn das Gesundheitsamt ein Restaurant beispielsweise wegen Salmonellenbefall schließt“, erklärt Franziska Gagel. In ihrer Bachelorarbeit in Versicherungswirtschaft an der Hochschule Coburg beschäftigte sie sich mit der „Versicherung von Pandemien bei Gastronom:innen im Landkreis Lichtenfels.“

Wirtsleute in der Region denken anders als Großgastronomen in München

Vor einem Jahr, als die Gastronomie deutschlandweit gerade zum zweiten Mal schließen musste, interviewte Gagel zehn Wirtsleute aus der Region – vom kleinen Café bis zum italienischen Restaurant, vom Dorf bis zum städtischen Umfeld in Lichtenfels und Bad Staffelstein. In den ausführlichen Befragungen ging es darum, Stimmung und Denkweisen in der Tiefe zu ergründen. Dabei ergab sich ein überraschendes Bild: „Die Gastronominnen und Gastronomen hatten Verständnis dafür, dass die Pandemie für eine Versicherung nicht kalkulierbar ist.“ Gagel stammt selbst aus Klosterlangheim im Kreis Lichtenfels und kam zu dem Schluss: „Die Mentalität ist hier anders als in der Großgastro in München.“ Durch Medienberichte über wütenden Wirte in der Landeshauptstadt war die 23-Jährige auf das Thema aufmerksam geworden.

Sie arbeitete sich ein, las über bundesweite Klagen gegen Versicherungen. Die Gerichte entschieden dabei sehr unterschiedlich; Expertinnen und Experten vertraten verschiedene Meinungen. „Versicherungsbedingungen sind individuell, da reicht ein Satz, um vor Gericht eine andere Auslegung zu ermöglichen. Der Knackpunkt ist“, resümiert Gagel, „dass kein Betrieb speziell betroffen war. Alle mussten schließen, um die Ausbreitung des Virus‘ zu vermeiden.“ Um eine Klagewelle zu verhindern, brachte die Landesregierung 2020 den so genannten „bayerischen Kompromiss“ auf den Weg. Die Versicherer zahlen 15 Prozent des vereinbarten Tagessatzes, die Wirte bekommen zusätzlich die staatlichen Hilfen beispielsweise für Kurzarbeit – doch diese Regelung ist auf beiden Seiten umstritten. Ihre Einzel-Befragungen im Kreis Lichtenfels brachten Gagel zur Schlussfolgerung, dass es künftig andere Modelle braucht: Privat-staatliche Absicherungsmodelle speziell für Pandemierisiken würden derzeit auf großes Interesse treffen.

Forum V-Preis für diese Abschlussarbeit

Prof. Dr. Jutta Michel hat Gagels Arbeit an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften betreut und freut sich über die spannenden Ergebnisse: „Die Interviews bestätigten die Erwartung nicht, dass die Corona-Situation zu einem Imageverlust der Versicherungsunternehmen geführt hat.“ Michel lobt insbesondere, dass die Studentin ein aktuelles und breit diskutiertes Thema in einer klar abgegrenzten Kundengruppe sehr genau analysiert hat. Dafür wurde Franziska Gagel außerdem mit dem Forum V-Preis 2021 ausgezeichnet. Das Netzwerk aus nordbayerischen Versicherungsunternehmen, Hochschulen und Verbänden würdigt damit exzellente Abschlussarbeiten im Versicherungsbereich. Mehr über Forum V findet sich hier.