Einen Gang höher schalten

Dienstag. 03. April 2018 (Anke Hempfling)
Prof. Dr. Stefan Gast (Mitte) testet die von den Studierenden Laura Bergmann und Timo Ostertag entwickelte Software.

Einsteigen, Schlüssel umdrehen und Gas geben. Wer einen Wagen mit Automatikgetriebe fährt, kann aufs Schalten verzichten. Dahinter steckt eine ausgeklügelte Technik, die bestimmt, wie das Auto von selbst schaltet. Die Studierenden Laura Bergmann und Timo Ostertag entwickelten in einem Kurs an der Hochschule ihre eigene Softwarestrategie und testeten sie auf Coburgs Straßen.  

So manche Testfahrt hatte es in sich. Ein kleiner Fehler im Programm und schon ratterte und ruckelte das Auto. „Die ein oder andere unserer Versuchsgruppen hat sicher die Aufmerksamkeit der Autofahrer oder Fußgänger auf sich gezogen“, schmunzelt Prof. Dr. Stefan Gast. Sein Projekt Rapid Control Prototyping (RCP) ist eins der Module, welches die Studierenden im Master-Studiengang Entwicklung und Management im Maschinen- und Automobilbau wählen können. „Das ist kein Fach, das man belegt, weil es gerade gut in den Stundenplan passt. Ich habe schon geahnt, dass viel Aufwand dahintersteckt und war sehr gespannt darauf“, erzählt Laura Bergmann. „Darunter hat sich am Anfang jeder von uns etwas anderes vorgestellt“, ergänzt Kommilitone Timo Ostertag. Nach den ersten beiden Vorlesungen war die Aufgabenstellung aber klar: die 12 Kursteilnehmer*innen sollten im Laufe des Semesters eine Gangwahlstrategie entwickeln, die als Software auf ein Automatikfahrzeug übertragen und – als Highlight des Ganzen – im realen Straßenverkehr getestet werden konnte.

Zuerst mussten die Studierenden ihre Strategie am PC programmieren und anhand mehrerer Simulationsläufe überprüfen. Die eingegebenen Werte bildete ein Graph ab. Passte etwas nicht, war das an der Struktur des Graphen zu erkennen. So zeigten beispielsweise Liniensprünge an, wenn nur zwischen dem ersten und zweiten Gang hin und her geschaltet wurde und das Auto deshalb nicht weiterbeschleunigen konnte. Das Herausfordernde dabei: nicht für jeden Gang gelten auch die gleichen Regeln. Denn eine Veränderung der Geschwindigkeit und Drehzahl muss nicht automatisch mit einem Schaltvorgang einhergehen. Deshalb war es wichtig, bestimmte Faktoren zu bedenken und diese durch Spezifikationen im Programm anzupassen. Der geübte Autofahrer schaltet zum Beispiel schneller vom ersten in den zweiten Gang als anschließend in den dritten und vierten. Auch die Stellung des Gaspedals beeinflusst die Gangwahl. Bei Vollgas, also wenn das Gaspedal ganz durchgedrückt wird, muss ein sogenannter Kick-Down erfolgen. Dabei wird zurückgeschaltet, um das Tempo besser erhöhen zu können. Bergauf fährt man generell hochtouriger als auf gerader Strecke. Die Motordrehzahl muss dann höher als normal sein, aber es darf nicht gleichzeitig hochgeschaltet werden. „Am Anfang hat sich unsere Gruppe damit sehr schwer getan, wir mussten erst einmal die Logik dahinter verstehen. Mit der Zeit hat es aber immer besser geklappt“, sagt Timo Ostertag.

Mit Sondergenehmigung zum Erfolgserlebnis

Das Versuchsfahrzeug, ein VW Golf, wurde aus Studiengebühren finanziert und für den Einsatz an der Hochschule entsprechend technisch modifiziert. Um die Herstellersoftware mit der eigenen überspielen zu können, baute Stefan Gast, der vor seiner Lehrtätigkeit an der Hochschule beim Automobilkonzern Daimler beschäftigt war, ein neues Steuergerät ein. Darauf übertrugen die Studierendengruppen die finale Version ihrer Software. „Es war spannend zu sehen, wie man in die ursprüngliche Steuerung eingreifen kann. Außerdem war es aufregend, im Auto miterleben zu können, was wir programmiert haben“ sagt Laura Bergmann. Im Coburger Straßenverkehr merkten sie und ihre Kommilitonen schnell: Selbst kleine Fehler bestraft das Auto sofort. Ändert man zum Beispiel nur eine Dezimalstelle einer Variablen, könne das auf mehrere Stunden Fehlersuche hinauslaufen. Während der Fahrt konnten die Studierenden allerdings Anpassungen vornehmen: „Wir hatten immer einen Laptop dabei, der mit dem Auto verbunden war und unseren Graphen abbildete. Der Beifahrer hatte so die Möglichkeit, im Realversuch zu reagieren und zu korrigieren“, erzählt Timo Ostertag. Um mit dem Wagen im normalen Straßenverkehr fahren zu dürfen, musste Professor Gast im Vorfeld eine Sondergenehmigung einholen. „Natürlich war zu jeder Zeit sichergestellt, dass die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer oder eine Getriebeschädigung ausgeschlossen waren“, erklärt er. Im Notfall habe man einen Schalter im Kofferraum betätigen und das Auto wieder zurück auf Werkseinstellung setzen können. Innerhalb des Projekts sah Professor Stefan Gast seine Funktion eher als Coach. Ihm waren vor allem der Lernprozess und das Fehlermanagement der Studierenden wichtig.

Die motiviert so ein praktisches Projekt: „Ich finde es generell klasse, dass so praxisnahe Module angeboten werden. Da tut man sich beim Lernen um einiges leichter“, so Timo Ostertag. Welche Note sie dafür bekommen, ist gar nicht mehr so vorrangig: „Die Herausforderung praktisch anzugehen und zu meistern, war ein größeres Erfolgserlebnis, als in einer Klausur eine gute Leistung zu erzielen. Die Hochschule Coburg ist eine der wenigen, die den Bezug Technik, Praxis und Wirtschaft in dieser Form anbietet“, sagt Laura Bergmann. Die beiden Studierenden sind sich einig: Wäre das Semester länger gewesen, hätten sie das Projekt gerne fortgeführt.

 

Dieser Artikel erschien erstmals in der Ausgabe 01/2018 des Hochschulmagazins mit dem Schwerpunktthema "Praxis im Studium". Die Onlineversion des Magazins gibt es hier.