Ökonom Schneider über Corona: „Not macht erfinderisch“

Freitag. 13. März 2020 (Natalie Schalk)
Prof. Dr. Lutz Schneider
Prof. Dr. Lutz Schneider

Zwischen absoluter Panik und Verharmlosung: Volkswirtschaftsprofessor Prof. Dr. Lutz Schneider von der Hochschule Coburg erklärt, welche Folgen die Schulschließungen haben können und was nun nötig ist, damit sich der Corona-Schock nicht zu einer großen Wirtschaftskrise auswächst.  

Welche Auswirkungen hat das Virus aktuell auf die Wirtschaft?

Prof. Dr. Lutz Schneider: Wenn plötzliche Ereignisse das Marktgleichgewicht stören, sprechen wir Ökonomen von einem Schock. Bei Corona gibt es sowohl einen Angebots- als auch einen Nachfrageschock. Das ist das Besondere. Bei klassischen Konjunkturkrisen fällt die Nachfrage aus, die Leute kaufen nichts. Aber durch das Virus stehen Arbeitnehmer unter Quarantäne und können ihrer Tätigkeit nicht normal nachgehen, so kam es zu einem Angebotsschock – der in China gestartet ist. Und da wir starke wirtschaftliche Verflechtungen mit China haben, bekommen wir das in Deutschland stark zu spüren.

Welche Branchen sind betroffen?

Der Faktor Arbeit spielt in der Wertschöpfungskette jedes Produktes eine Rolle. Beim Angebot führt uns das Virus die Globalisierung der Wertschöpfungsketten vor Augen. Nachfrageausfälle gibt es in vielen Bereichen, gegenwärtig sehen wir dies vor allem bei Unterhaltung, Gastronomie, Beherbergung, Tourismus, Messen, Großveranstaltungen, die abgesagt werden müssen. In Bereichen wie Hygiene und auch bei Lebensmitteln boomt die Nachfrage, da hat man einen positiven Schock. Aber das Negative überwiegt.

Wie sollten Regierungen und Notenbanken jetzt reagieren?

Die Geldpolitik ist ausgereizt. Wenn die Zinsen gesenkt werden, hat das eher symbolischen Wert. Wichtig ist, dass der Schock temporär bleibt. Damit er sich nicht zu einer großen Krise auswächst, ist jetzt entscheidend, Unternehmen und Arbeitnehmer zu unterstützen, um zu verhindern, dass sie durch Einkommensausfälle in Liquiditätskrisen kommen. Das könnte gesunde Unternehmen in die Insolvenz stürzen. Helfen können zum Beispiel Liquiditätsüberbrückungshilfen durch die KfW oder auch die jetzt diskutierten Steuerstundungen. Für die Arbeitnehmer kann Kurzarbeit eine Lösung sein – das hat in der Finanzkrise 2008 / 09 sehr gut gewirkt. Es geht darum, eine Liquiditätshilfe zu geben, damit die Nachfrage nicht weiter sinkt. Das ist in den USA ein Problem, weil es keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gibt. Da breitet sich dann auch das Virus schneller aus, weil die Leute wegen des Ausfalls von Einkommen nicht zuhause bleiben. Das Wichtigste ist jetzt aber gerade, die Ausbreitung in den Griff zu bekommen, zu verlangsamen und den Gesundheitssektor zu unterstützen. In China gehen die Neuansteckungen drastisch zurück. Wenn sie jetzt insgesamt weiter sinken würden, also auch in Südkorea, in Italien – dann wäre das ein Signal, dass es eine temporäre Krise wird.

Was können wir aus der aktuellen Situation lernen?

Die Krise wird irgendwann vorbei sein und da kann sich der Satz bewahrheiten, dass Krisen ja auch Chancen sind. Ein Beispiel: 2014 ist in Teilen Londons das U-Bahn-Netz zusammengebrochen. Pendler mussten sich andere Wege suchen – als alles wieder funktionierte, hat ein erheblicher Teil diese Wege beibehalten. Man hatte gemerkt, dass es anders schneller ging. Not macht erfinderisch, so entwickeln sich bessere Formen der Organisation.

Welche Chancen sehen Sie in der Krise?

Epidemien sind aus wissenschaftlicher Sicht immer erkenntnisfördernd. Beispielsweise das Thema Homeoffice wurde lange vernachlässigt, jetzt sind Leute in bestimmten Bereichen gezwungen, Homeoffice zu nutzen. Wenn die Schulen und Kitas nun geschlossen werden, wird sich die Notwendigkeit des Homeoffice noch verstärken. Allerdings ändert sich dadurch auch die Situation erheblich – Homeoffice mit Kindern zuhause ist eine völlig andere Situation als Homeoffice, wenn die Kinder zu den Tageshauptzeiten in Kitas und Schulen sind. Wie wird das die Produktivität beeinflussen? Wird es sie verringern oder steigern? Es wird interessante Studien, neue Erkenntnisse und Entwicklungen geben. China hat jetzt einen Telemedizin-Boom. Die Leute gehen nicht mehr in Arztpraxen, sie buchen viel mehr Online-Konsultationen. Bereits die SARS-Infektion 2003 hatte in China einen Digitalisierungsschub ausgelöst. Die Leute saßen plötzlich isoliert zu Hause. Damit begann ein Boom der sozialen Netzwerke. Auch an den Hochschulen wird es einen Schub in der Digitalisierung der Lehre geben – das müssen wir nutzen. Gewöhnlicher Alltag befördert nichts, für Innovationen gibt es zwei wesentliche Modi: Notsituationen und Mußesituationen.

Ist der Corona-Schock vergleichbar mit der Lehman-Pleite, die 2008 die Finanzkrise auslöste?

Das war ein Nachfrageschock, Instrumente wie die Abwrackprämie haben geholfen, aber der Bevölkerung war insgesamt schwer vermittelbar, dass die Allgemeinheit die Kosten trägt. Die Verursacher haben darauf spekuliert, dass sie vom Staat gerettet werden. Das ist ein wichtiger Unterschied: Bei der Corona-Krise gibt es keinen Verursacher. Jetzt ist das politische Handeln klarer nachvollziehbar. In Folge der Finanzkrise hatten wir 2009 ein negatives Wirtschaftswachstum von minus 5,7 Prozent, wobei es zwei, drei Jahre später wieder auf demselben Niveau war wie zuvor. Derzeit wird weltweit mit ein bis zwei Prozent Wachstumseinbußen wegen Corona ausgegangen. Das ist verglichen mit der Finanzkrise moderat. Allerdings ist noch sehr vage, wie sich alles entwickeln wird.

Warum?

Unter anderem, weil die öffentliche Meinung in Krisen stark schwankt: zwischen absoluter Panik und totaler Verharmlosung. Die Phase der Panik hatten wir schon, wie üblich kann das Drama in der Realität damit nicht Schritt halten – und dann muss man aufpassen, dass man nicht vorschnell verharmlost. Vorsicht ist das Gebot der Stunde. Auch wenn die Leute dann im Nachhinein sagen: Wieso hat’s das alles gebraucht, war doch halb so wild. Deshalb sind Prognosen so schwierig: Eine negative Prognose wiederlegt sich häufig selber, weil sie der Grund dafür ist, dass die Leute vorsichtiger handeln – und dadurch das Schlimmste abgewendet wird.