Unermüdlich im Widerstand

Donnerstag. 10. April 2014 (Pressestelle)
"Niemand konnte sich vorstellen, dass die Polizei Wasserwerfer einsetzt" - Mutbürger Gangolf Stocker.

Seit 19 Jahren ist Gangolf Stocker im Einsatz gegen das Projekt Stuttgart 21. Beim Wissenschaftsforum:Widerstand im Stadtpunkt Fugenlos hat er von seinen ganz persönlichen Erfolgen und Niederlagen erzählt.

Noch heute beschäftigt der 30. September 2010 die Gerichte der Baden-Württembergischen Landeshauptstadt. Am sogenannten „schwarzen Donnerstag“ wurden über 400 Menschen bei den Protesten gegen das Projekt Stuttgart 21 verletzt. „Das waren Professoren, gute Bürger, Kinder – niemand konnte sich vorstellen, dass die Polizei Wasserwerfer gegen die einsetzt.“ Gangolf Stocker sieht aus, wie der nette Herr von nebenan. Weiße Haare, Kinnbart, Brille, klein, olivgrüner Pulli, beige Hose – auch deshalb ist er Symbolfigur des Stuttgarter Widerstands. Die „Wut- und Mutbürger“, die damals auf die Straße gehen, sind Kinder, Lehrer, Eltern, Senioren - Gangolf Stocker lange Zeit der Mann hinter den Kulissen des Protestes.

1995 hat alles angefangen. Fünf Milliarden Deutsche Mark (2,45 Mrd. Euro) sollten in das Großprojekt Stuttgart 21 investiert, der Kopfbahnhof in einen Durchgangsbahnhof verwandelt werden. „Wenn wir etwas erreichen wollen, brauchen wir die Unterstützung des Großbürgertums“, ist sich Gangolf Stocker damals sicher. Acht Jahre lang betreiben er und seine Mitstreiter „Gegeninformation“- versuchen, die Bevölkerung wach zu rütteln. Im November 2007 übergeben sie im Stuttgarter Rathaus ein Bürgerbegehren mit über 61.000 gültigen Stimmen. Das sind mehr als dreimal so viel wie nötig. Doch der Gemeinderat lehnt den Antrag auf Zulassung eines Bürgerentscheids mit 45 zu 15 Stimmen ab.

Die Bevölkerung treibt er damit auf die Barrikaden. Immer mehr Leute schließen sich dem Widerstand an, einzelne Protest-Veranstaltungen werden zu regelmäßigen Montagsdemos, aus 4000 Demonstranten werden über 50.000. Als der Abriss des Bahnhofs-Nordflügel beginnt und die ersten Bäume im Schlossgarten gefällt werden sollen, eskaliert die Situation. Die Medien berichten damals täglich über die Proteste.

Heute ist es ruhig geworden in Stuttgart. „Die meisten Leute haben resigniert“, sagt Stocker. Und auch er ist ein bisschen enttäuscht. Stuttgart 21 ist weiter in Planung – trotz Regierungswechsel in Baden-Württemberg. Aktuell nennt die Deutsche Bahn Kosten von 5,9 Milliarden Euro. Das Projekt ist in Stockers Augen aber nicht wirklich in die Gänge gekommen. Eine Baustelle nach der anderen werde feierlich eröffnet, um den Eindruck zu erwecken, es gehe voran. Deshalb will Gangolf Stocker auch weiter kämpfen. Als Sprecher der Initiative „Leben in Stuttgart“ ist er noch aktiv. Das Aktionsbündnis „Stuttgart 21“ vertritt er nicht mehr. Denn auch innerhalb des Widerstands gab es Reibereien.

Das wesentliche Element des Protestes seien, so Stocker, aber immer die Bürger mit ihren kreativen Ideen gewesen. „Wir haben uns teilweise gekugelt vor Lachen, wenn wir die Sprüche gelesen haben, die auf den Bannern standen.“ Dass es friedlich zugeht, war dem 69-Jährigen immer wichtig. Die Aktionen sollen fröhlich und kulturvoll sein. Bei den Montagsdemos treten deshalb auch viele Musiker auf. Zur Polizei versucht er ein gutes Verhältnis zu pflegen. Dass trotzdem heute gegen ihn Prozesse laufen, nimmt Gangolf Stocker sportlich. Es geht um Verstöße gegen das Versammlungsrecht, die er als Versammlungsleiter verantworten muss. Wird er verurteilt, legt der Protestler jedes Mal Widerspruch ein. Aufgeben ist nichts für Gangolf Stocker.

 

Info: Die Veranstaltungsreihe „Wissenschaftsforum“ beschäftigt sich im Sommersemester mit dem Thema Widerstand. Am nächsten Montag, 14. April 2014, 18 Uhr, im Fugenlos ist Franziska Bartl zu Gast. Sie wird über den Widerstand nach 1945 sprechen. Gäste sind herzlich willkommen. Mehr Informationen gibt es in der Rubrik "Veranstaltungen" oder bei Christine Opitz.

Coburg, den 10. April 2014