"Wir müssen Weltmeister in der Entwicklung sein"

Freitag. 31. Januar 2014 (Pressestelle)
Bernd Hüttl im Labor. Im Hintergrund die neue Prüfstation für Photovoltaikmodule, die schon bald in Betrieb gehen soll.

Deutschland im Jahr 2050: 85 Prozent des Stroms sollen bis dahin aus Erneuerbaren Energien stammen. Sie sind die Hoffnungsträger von Politikern und Experten. Doch es gibt noch viel zu tun, sagt Professor Dr. Bernd Hüttl, Experte für Erneuerbare Energien an der Hochschule Coburg.

Professor Hüttl, Sie lehren seit diesem Semester im neuen Studiengang „Erneuerbare Energien“ an der Hochschule Coburg. Wie wurde das Angebot bis jetzt angenommen?

Im gesamten Bereich der Elektrotechnik haben im aktuellen Semester insgesamt 90 „Erstsemestler“ ihr Studium aufgenommen. Für 30 von ihnen geht es nach dem Grundstudium mit dem Schwerpunkt „Erneuerbare Energien“ richtig los. Zwei weitere neue Professuren wollen wir bis dahin noch einrichten.

Wind, Sonne und Wasser – das sind die Hoffnungsträger der zukünftigen Stromversorgung. 85 Prozent der Energie sollen 2050 aus diesen Quellen stammen. Gleichzeitig erlebt die Solarindustrie gerade eine schwere Krise. Warum?

Wir hatten in Deutschland ein sehr innovatives Gesetz – das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Es ermöglichte der Solarindustrie eine Initialzündung, als diese noch eine wirtschaftliche Randerscheinung war. Der Industriezweig ist also sehr schnell gewachsen, doch weder Experten noch Politiker haben ausreichend auf die technischen Herausforderungen reagiert, die mit dem Ökostrom verbunden sind. Wir brauchen leistungsfähige und intelligente Stromnetze mit regelbaren Kraftwerken und Speicherkapazitäten. Denn aktuell sind unsere Netze quasi schon verstopft mit Ökostrom.

Viele geben ja den Chinesen die Schuld an der Solarkrise. Ihre Billigimporte hätten der deutschen Konkurrenz geschadet.

Die Technologie der Photovoltaik ist nicht so kompliziert wie die eines Autos. Wenn wir unsere Fertigungsprozesse weiter automatisieren – können wir zu ähnlich geringen Preisen produzieren. Der Preisverfall von Solaranlagen ist nämlich grundsätzlich zu begrüßen. Er macht den deutschen Solarzellenherstellern zwar das Leben schwer, aber zukünftig wird die ökologische Erzeugung von Strom dadurch wirtschaftlich. Für den Selbstverbraucher hat Ökostrom schon heute Kostenvorteile. Wenn unsere qualifizierten Absolventen die Hochschule verlassen, wird es ihre Aufgabe sein, diese Automatisierungsprozesse zu entwickeln. Am heimischen Standort müssen wir Weltmeister in der Entwicklung sein! 

In den vergangenen Jahren wurden riesige Solarparks in die Landschaft gebaut. Braucht man die jetzt überhaupt noch?

Sie werden gebraucht und sind ein Teil der Energiewende. Die Betreiber erwirtschaften damit meist erhebliche Gewinne. Allerdings stellt sich die Frage, wie wir diese in unsere Landschaft integrieren. Es gibt Wissenschaftler, die sich nur mit diesem Thema beschäftigen. Zum Beispiel, indem man den Bau von Solarparks an die Schienenwege der Deutschen Bahn oder an Autobahnen koppelt, die sowieso die Landschaft zerschneiden. Auch die Integration von Windkraftanlagen in die Umwelt ist ein heiß diskutiertes Thema. Das müssen wir verantwortungsvoll und transparent behandeln.

In Kulmbach haben die Bürger sich vor kurzem sehr kritisch zu den Plänen des Netzbetreibers Amperion geäußert. Dieser will eine Gleichstrompassage quer durch Bayern ziehen. Auch die Region wäre betroffen.

Nach dem bayerischen Energiewendekonzept von 2011, das kurz nach Fukushima erstellt wurde, fehlt uns in Bayern ab 2016 etwa ein Viertel der Elektroenergie. Die Hälfte unserer bayerischen Atomkraftwerke wird abgeschaltet. Thüringen und Sachsen-Anhalt nehmen Windräder dagegen immer häufiger vom Netz, weil so viel Strom nicht abgenommen wird. Dieses Energiegefälle soll die Nord-Südtrasse auffangen. Die Passage ist sehr wahrscheinlich unbedenklich für die Gesundheit, aber natürlich nicht ästhetisch. Bei der Lösung solcher Fragen müssen alle Beteiligten kompromissbereit sein und ihre Entscheidungen transparent machen.

Sprechen Sie mit Ihren Studenten auch über die Krise und was das für ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt bedeutet?

Selbstverständlich – „Problemlöser“ werden auf dem Arbeitsmarkt immer gebraucht. Der Netz- und Speicherausbau beispielsweise ist eine große Herausforderung bei der Entwicklung der Erneuerbaren Energien. Außerdem geht es weiter um Kosten- und Qualitätsoptimierung neuer und schon verbauter Ökostromerzeuger. Die verbliebene Photovoltaikbranche braucht Experten zur weiteren wirtschaftlichen Konsolidierung und zum Erhalt der technologischen Spitzenstellung.

Wo liegen Ihrer Meinung nach mögliche Chancen für die Solarindustrie?

Das Wachstum des Photovoltaikmarktes betrug 2013 weltweit 12 Prozent. In Asien und Amerika liegt es bei 50 bis 60 Prozent. Die Märkte haben sich also von Deutschland und Europa wegverschoben. Unsere Chancen liegen in der Eroberung dieser neuen Zielmärkte. Hochinteressant ist auch der kunststoffbasierte Druck von Solarzellen „von der Rolle“. Damit diese Technologie zur Marktreife gelangt, wird im Moment das Problem der noch vorhandenen Alterung bearbeitet. Die Umsetzung dieser ehrgeizigen Ziele braucht gut ausgebildete Elektroingenieure, z.B. von der Hochschule Coburg.

Zur Person:

Prof. Dr. Bernd Hüttl ist in Berlin geboren und aufgewachsen. Er hat Physik an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert und dort auch seinen Doktortitel in Naturwissenschaften erlangt. Nach verschiedenen Forschungstätigkeiten, zuletzt am Fraunhofer Institut für Nachrichtentechnik, ist er in die Wirtschaft gewechselt, um beim Solarmodulhersteller Calyxo GmbH in Bitterfeld das Team „Elektrische Diagnostik und Entwicklung“ zu leiten. Im September 2013 folgte er dem Ruf an die Hochschule Coburg und lehrt seitdem Grundlagen der Elektrotechnik im Studiengang Erneuerbare Energien.

Coburg, den 31. Januar 2014